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Häusliche Krankenpflege auch in ambulant betreuter Wohngruppe

BSG hat entschieden

 

Dem Urteil des BSG vom 26. März 2021 liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:

Die Versicherte lebte mit elf weiteren pflegebedürftigen Personen aufgrund gesonderter Mietverträge in einer anerkannten ambulant betreuten Wohngemeinschaft nach dem Bayerischen Pflege- und Wohnqualitätsgesetz. Sie litt u. a. an Demenz, essentieller Hypertonie und Diabetes mellitus mit multiplen Komplikationen sowie einem Tremor. Nach einem Pflegegutachten der Beigeladenen war sie Analphabetin und seit ihrer Geburt etwas „debil“. Die Bewohner beauftragten gemeinschaftlich eine Person mit organisatorischen, verwaltenden, betreuenden und das Gemeinschaftsleben fördernden Aufgaben und wählten entsprechend ihrer Gremiumsvereinbarung ebenfalls gemeinschaftlich Dienstleister für hauswirtschaftliche Aufgaben und Leistungen der psychosozialen Betreuung und Begleitung aus. Die Betreuungsleistungen erfolgten im Rahmen einer 24-stündigen Anwesenheit eines Mitarbeiters des Pflegedienstes in der Wohngemeinschaft. Die Versicherte selbst beauftragte einen Pflegedienst für ihre pflegerische Versorgung. Von dem Pflegedienst erhielt sie Sachleistungen bei häuslicher Pflege bis zur Höchstgrenze nach § 36 SGB XI, zusätzliche Entlastungsleistungen in häuslicher Pflege nach § 45b SGB XI sowie den Wohngruppenzuschlag nach § 38a SGB XI.

Streitgegenständlich war eine ärztliche Verordnung über Leistungen der HKP in Form von täglich drei Medikamentengaben.

Nach Ansicht der Krankenkasse rechneten die verordneten Leistungen zur einfachsten Behandlungspflege und seien durch das in der ambulant betreuten Wohngemeinschaft präsente Personal unentgeltlich zu erbringen, weil diese neuen Wohnformen im Ergebnis einem stationären Setting mit Rundumversorgung entsprächen.

Die Entscheidungsgründe des BSG lauten im Wesentlichen wie folgt:

Ambulante Leistungen der Behandlungssicherungspflege haben die Krankenkassen über den Haushalt der Versicherten und ihrer Familie hinaus an jedem Ort zu erbringen, der dazu "sonst geeignet" im Sinne von § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V ist. Außer stationären Pflegeeinrichtungen und Einrichtungen der stationären medizinischen Versorgung kann das jede Einrichtung sein, in der sich ein Versicherter auf unabsehbare Zeit aufhält und in der die Pflegemaßnahme qualitativ ordnungsgemäß erbracht werden kann, soweit kein Anspruch auf ihre Erbringung durch die Einrichtung selbst besteht. Letzteres sei für die hier streitbefangene einfachste Behandlungspflege ausgeschlossen, weil weder der Mietvertrag noch die Verträge der Bewohner untereinander oder mit von ihnen beauftragten Leistungserbringern der Versicherten Anspruch darauf vermittelten, durch eine der in der Wohngruppe anwesenden oder für deren Mitglieder tätigen Personen dreimal täglich die notwendige Hilfe bei der Einnahme ihrer Medikamente zu erhalten, ohne dass es dazu eines gesonderten Auftrags durch sie selbst bedurft hätte.

Grenzen der möglichen Gestaltung ambulant betreuter Wohngruppen verletze dies nicht. Nach der Zuständigkeitsabgrenzung zwischen gesetzlicher Krankenversicherung und sozialer Pflegeversicherung bei ambulanter Versorgung könnten Versicherte Leistungen der Behandlungspflege als häusliche Krankenpflege einschließlich der einfachsten Maßnahmen auch dann beanspruchen, wenn sie zugleich ambulante Pflegeleistungen im Rahmen der sozialen Pflegeversicherung beziehen. Das habe der Gesetzgeber bei Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs durch die Ergänzung von § 13 Abs. 2 SGB XI um dessen Satz 2 jüngst ausdrücklich bekräftigt und das gelte nach den Gesetzesmaterialien auch, soweit in die Pflegebegutachtung seither auch die Bewältigung von und der selbstständige Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen in Bezug u.a. auf Medikation eingehen sollen. Das ändere sich auch dann nicht, wenn mehrere Pflegeversicherte Leistungen der häuslichen Pflegehilfe gemeinsam in Anspruch nehmen. Diese Möglichkeit besteht nunmehr § 36 Abs. 4 Satz 4 SGB XI explizit mit dem Ziel, bei ambulanter Versorgung durch das "Poolen" von Leistungsansprüchen im Interesse der Pflegebedürftigen eine wirtschaftlichere Versorgung mit Pflegeleistungen zu ermöglichen und dadurch im Ergebnis die ungedeckten Pflegekosten der Beteiligten geringer zu halten. Diesem Regelungsziel widerspreche es nicht, wenn Versicherte die Inanspruchnahme gemeinsam abgerufener häuslicher Pflegehilfe vertraglich auf die Leistungszwecke des SGB XI beschränken und sich hinsichtlich der Behandlungspflege - auch der einfachsten Art - gegenseitig auf die Geltendmachung ihrer Ansprüche gegen die jeweilige Krankenkasse verweisen.

Es gelte auch nichts anderes, wenn die Versorgung der Pflegebedürftigen in der Wohngruppe ihrer Art nach als vollstationär zu qualifizieren wäre. Die Grenze zwischen ambulanter und stationärer Pflegeversorgung iS des SGB XI verlaufe nach dessen § 38a Abs 1 Satz 1 Nr 4 Halbsatz 1 dort, wo ein Anbieter der Wohngruppe oder ein Dritter den Pflegebedürftigen "Leistungen anbietet oder gewährleistet, die dem im jeweiligen Rahmenvertrag nach § 75 Abs. 1 SGB XI für vollstationäre Pflege vereinbarten Leistungsumfang weitgehend entsprechen". Abgrenzungsrelevant sei danach weniger die rechtliche und/oder personelle Gestaltung auf der Anbieterseite als der Umfang der den Pflegebedürftigen zu gewährleistenden Leistungen. Dass die Versicherte im Vorliegenden eine in diesem Sinne weitgehend einer vollstationären Versorgung entsprechende Betreuung beanspruchen konnte, sei nicht zu erkennen. Dagegen spreche zudem, dass sie im Streitzeitraum Leistungen bei häuslicher Pflege einschließlich des Wohngruppenzuschlags nach § 38a SGB XI bezogen hat und die Versorgung damit von der Beigeladenen implizit als ambulant qualifiziert worden sei.

Fazit:

Anbieter ambulant betreuter Wohngruppen sowie deren Klienten können durch vertragliche Gestaltung die Gewährung der Häuslichen Krankenpflege durch die Krankenversicherungen sicherstellen. Sofern diese Aufwendungen bislang nicht von den Kassen übernommen wurden, sollte die vertraglichen Gestaltungsmöglichkeiten erwogen und ggf. angepasst werden. Auch für sonstige ambulant betreute Wohngemeinschaften, in denen beispielsweise auch Assistenzleistungen der Eingliederungshilfe Teil der Leistungen sind, sollten die Gestaltungsmöglichkeiten geprüft und die Anspruchsvielfalt gewahrt werden.

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