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Ist die anstehende Krankenhausreform der grosse Wurf?

Ein Interview von Birgitta Lorke und Dr. Philipp Ostwald

Wieso brauchen wir eigentlich eine Krankenhaus-Strukturreform?

Bernadette Rümmelin

Seit Jahren benötigen wir eine Reform der Krankenhausfinanzierung. In den DRGs sind die Kosten für die Grund- und Regelversorgung auch vor dem Hintergrund des demografischen Wandels nicht adäquat abgebildet. Daraus entstand die Idee der pauschalen Finanzierung von Vorhaltekosten. Unser Verband hat deshalb bereits 2019 ein Finanzierungsmodell zur Vorhaltevergütung entwickelt und dies auch in den politischen Diskurs gebracht. Dass nun eine Reform kommt, bei der die Krankenhaus-Strukturen und dabei vor allem die Krankenhausplanung im Vordergrund stehen, hat uns sehr enttäuscht. Aktuell wird fast nur noch über Krankenhausschließungen gesprochen und nicht über die dringend notwendige auskömmliche Finanzierung der Grund- und Regelversorgung zur Sicherung einer flächendeckenden Versorgung.

Melanie Kanzler

Eine Krankenhaus-Strukturreform bietet die Chance, die Versorgung der Patientinnen und Patienten, die Arbeitsbedingungen für die Mitarbeitenden sowie die Prozesse im Krankenhaus zu verbessern. Die Menschen in Deutschland wünschen sich eine zeitgemäße Gesundheitsversorgung und unterstützen mehrheitlich eine Krankenhausreform.

DREI WICHTIGE GRÜNDE UNTERSTREICHEN DIE NOTWENDIGKEIT DER REFORM:

Wirtschaftlicher Druck
In den Krankenhäusern nimmt der wirtschaftliche Druck seit Jahren zu. Inzwischen ist er immens. Die Insolvenzgefahr ist für einen Teil der Kliniken leider in greifbarer Nähe. Es braucht eine erneuerte Verantwortungsvereinbarung für einen daseinsorientierten, sachgerechten und hinreichend flexiblen Finanzierungs-Mix von Bund und Ländern unter den Bedingungen knapper staatlicher Mittel.

Demografischer Wandel

Die Auswirkungen des demografischen Wandels drängen. In den nächsten Jahren werden viele Berufstätige in den Gesundheitsberufen in den Ruhestand gehen. Zugleich steigt stetig die Zahl an älteren Menschen, die eine adäquate gesundheitliche Versorgung benötigen. Daher brauchen wir Ideen für unkonventionelle und mutige regionale Versorgungskonzepte wie auch kreative Bildungsstrategien innerhalb und außerhalb der Krankenhäuser.

Ambulantisierung

Die medizinisch-technischen Entwicklungen ermöglichen heute, mehr Leistungen verantwortungsvoll und patientensicher ambulant zu erbringen, auch im Krankenhaus. Das erfordert die Öffnung der Krankenhäuser zur stärkeren ambulanten Leistungserbringung und Abrechnung. Die notwendige Transformation der Strukturen, wie beispielsweise ambulante OP-Zentren, sind über einen Fonds zu finanzieren. In Bevölkerungsumfragen unterstützen sie mehrheitlich eine Krankenhausreform. 60 % der Bevölkerung erwarten von einer Krankenhausreform eine bessere medizinische Versorgung, 43 % eine bessere Verknüpfung von stationärer Behandlung und ambulanter Nachsorge. So die Ergebnisse einer im Juni 2023 veröffentlichten Bevölkerungsumfragedes Bundesverbands Medizintechnologie mit 2.500 Teilnehmenden.

Ist jetzt der richtige Zeitpunkt für die Reform?

Melanie Kanzler

Die Reform ist längst überfällig. Oft werden wesentliche Veränderungen erst angegangen, wenn es richtig weh tut. Momentan ist der Ressourcen-Schmerz bei einem Großteil der Krankenhäuser da. Daher gibt es konkreten politischen Handlungsdruck, ein Bündel von Lösungen zu entwickeln. Seit Jahren sind die Investitions- wie auch die Betriebskosten unterfinanziert. Das muss aufhören. Noch entschlossener ist dem anhaltend hohen Fachkräftemangel in den Krankenhäusern mit Bildungsstrategien zu begegnen. In unserer Mitgliedschaft nehme ich einen hohen Reformwillen wahr. Die evangelischen Krankenhäuser wollen gute gesundheitliche Versorgung und Behandlungsqualität unter guten Bedingungen für alle Beteiligten am Patientenpfad.

Bernadette Rümmelin

Aus meiner Sicht ist die Reform der Krankenhausfinanzierung mehr als überfällig. Bei einer Krankenhaus-Strukturreform sehe ich als ersten Schritt die Notwendigkeit einer Analyse des regionalen Versorgungsbedarfs. Diese sollte die Grundlage bilden für den Abgleich mit den bereits vorhandenen Strukturen und für die Entscheidungen der Planungsbehörden auf Landesebene. Dabei sollten stationäre und ambulante Versorgungsangebote viel stärker zusammen betrachtet werden. Diese Schritte fehlen bisher. Danach könnte man zielgerichtet entscheiden, wo Strukturen angepasst werden müssen, um den regionalen Versorgungsbedarf in Zukunft zu erfüllen.

Sind die Ziele der Krankenhausreform mit Einführung von Leistungsgruppen und einer Einführung von Leveln der richtige Ansatz?

Bernadette Rümmelin

Meiner Ansicht nach wurden die Ziele dieser Krankenhausreform vorab nicht klar und deutlich definiert. In den aktuell laufenden Diskussionen wird allerdings eine „hidden agenda“ immer offensichtlicher – der flächendeckende Abbau von Krankenhauskapazitäten. Damit erklärt sich auch, dass das BMG den Diskussionsprozess im Dezember letzten Jahres gleich mit einem ersten Reformpapier startete, in dem die Einführung von bundeseinheitlichen Versorgungsleveln für die zukünftige Krankenhausplanung vorgegeben wurde und dies sofort eine bundesweite Diskussion um Krankenhausschließungen entfachte. Diesen Vorschlag lehnen wir kkvd-seitig nach wie vor ab. Als deutlich zielführender bewerten wir den Ansatz, die Krankenhausplanung zukünftig an Leistungsgruppen und nicht mehr an Betten festzumachen, wie es in NRW nun bereits umgesetzt wird. Leistungsgruppen sind ein gutes Instrument, um das Versorgungsgeschehen klarer zu strukturieren und die Qualität zu fördern. Sie wurden für eine bedarfsorientierte und verfeinerte Krankenhausplanung in NRW entwickelt. Dort ermöglichen sie, dass mittlere und kleinere Kliniken durch Spezialisierung und im Verbund auch künftig ihren wichtigen Beitrag zur flächendeckenden Versorgung leisten können. Ein geeignetes Instrument zur Bemessung der Vorhaltefinanzierung, wozu sie nun laut Eckpunktepapier verwendet werden sollen, sind sie nicht.

Melanie Kanzler

Das zentrale Kernstück des Eckpunktepapiers von Bund und Ländern ist die Systematik bundeseinheitlicher Leistungsgruppen mit Qualitätskriterien. Grundlage soll die NRW-Systematik sein, ergänzt um fünf weitere Leistungsgruppen. Diese sind: Die Infektiologie, die Notfallmedizin, die spezielle Traumatologie, die spezielle Kinder- und Jugendmedizin und die spezielle Kinder- und Jugendchirurgie. Diese fünf Gruppen sollen künftig Zuschläge, also zusätzliches Geld, erhalten. Der DEKV sieht das Leistungsgruppensystem verhalten optimistisch. Um die notwendige Flexibilität für die Krankenhausplanung der Länder zu erhalten, müssen alle Regelungen der Leistungsgruppensystematik daraufhin intensiv geprüft werden. Der DEKV-Vorstand vertritt die Position, dass Behandlungsqualität vor Wohnortnähe gelten muss.

Hat man die Krankenhaus-Strukturreform bis zu Ende gedacht und alle notwendigen Begleitfaktoren berücksichtigt?

Melanie Kanzler

Die Veränderungen des Konzepts der Regierungskommission vom 6. Dezember 2022 bis zum finalen Eckpunktepapier sind erkennbar. Die Entkopplung von Leistungsgruppen und Leveln eröffnet Gestaltungsmöglichkeiten und Freiraum für die Krankenhäuser. Zugleich bieten die Leistungsgruppen die Möglichkeit, dass entwickelte Strukturen fortbestehen können. Das Mit- und Durchdenken jedes Paragrafen und jeder Regelung der Krankenhausreformgesetzgebung aus der Perspektive der Krankenhauspraxis wird notwendig und bedeutsam, wenn im Sommer 2023 der Referentenentwurf vorliegt. Zugleich sind die regionalen Auswirkungsanalysen der Reformmaßnahmen ein wichtiger Bestandteil und dringend notwendig, um alle Beteiligten vor Ort bei den bevorstehenden Strukturveränderungen mitzunehmen.

Bernadette Rümmelin

Nein, ganz sicher nicht, viele Fragen sind noch offen. Das Modell mag in der Theorie schlüssig klingen, wird in der Praxis aber zu einem tiefen Einschlag in die Versorgungslandschaft führen. Transparente Analysen zu den Auswirkungen der Reformpläne auf die reale Patientenversorgung fehlen leider völlig. Die Strukturreform führt zu einem bedeutenden Transformationsprozess im Krankenhausbereich, der sich über mehrere Jahre erstrecken wird. Dieser beinhaltet Planungen und bauliche Veränderungen genauso wie Verlagerung von Personal und Know-how. Das benötigt viel Zeit und Geld, beides ist nicht eingeplant. Aktuell überwiegt außerdem viel stärker die Sorge, dass viele Kliniken angesichts der enormen Inflationskosten und der berechtigten Personaltarifsteigerungen in den nächsten Monaten in Liquiditätsschwierigkeiten geraten und von Insolvenzen bedroht sein werden. Findet hier kein bewusstes politisches Gegensteuern statt, werden auch solche Kliniken von Schließungen betroffen sein, die für eine hochwertige Versorgung in Zukunft wichtig sind. Insbesondere freigemeinnützige Krankenhäuser sind hier gefährdet, denn im Gegensatz zu öffentlichen Kliniken wird ihr Defizit nicht von den Kommunen aufgefangen. In dem Kontext heißt es oft, dass die Krankenhäuser in sogenannte sektorenübergreifende Versorger (Level 1i-Krankenhäuser) umgewandelt werden können. Das Konzept der 1i-Krankenhäuser ist auf den ersten Blick interessant. Aber auch hier kommen viele Fragen auf. Für welche Patientinnen und Patienten ist ein solches Haus die passende Anlaufstelle? Ist es für ärztliches und pflegerisches Personal tatsächlich interessant, in einer solchen Einrichtung dauerhaft zu arbeiten? Welche Leistungen sollen dort angeboten werden? Sind die Häuser mit so einem schmalen medizinischen Leistungskonzept überhaupt wirtschaftlich tragfähig? Es wäre besser gewesen, dieses Konzept eigenständig und unabhängig von der Krankenhausreform zu entwickeln und in funktionierenden Modellen zu erproben. Sie böten die dringend notwendigen Ansätze für mehr Ambulantisierung.

Die Krankenhausreform soll auch die Vergütung der Krankenhäuser neu regeln. Die Einführung einer Vorhalte-Finanzierung soll den Leistungsanreiz reduzieren. Zusätzlich soll dabei der Prüfaufwand für die Krankenhausabrechnungen reduziert werden. Das soll zur Entbürokratisierung beitragen. Funktioniert dieser Ansatz in Ihren Augen?

Bernadette Rümmelin

Es fällt mir schwer, hier Entbürokratisierungstendenzen zu sehen – im Gegenteil: die Reform steigert die Bürokratie immens. Allein die alle zwei Jahre stattfindenden Überprüfungen von Strukturkriterien aller Leistungsgruppen durch den Medizinischen Dienst bedürfen eines erheblichen Aufwands. Für die Vorhaltefinanzierung müssen zukünftig die entsprechenden Leistungs- und Strukturmerkmale berichtet und geprüft werden. Das r-DRG-System unterliegt ja weiterhin den bekannten extremen Dokumentationsverpflichtungen und per se einem hohen Prüfaufkommen. Genauso das Pflegebudget. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass der MD in Zukunft weniger prüfen wird. Daher wird es in Zukunft sogar drei bürokratische Vergütungsmonster geben: Vorhaltevergütung (Prüfung durch MD und Planungsbehörden der Länder), rDRG (Prüfung durch MD und Kassen) und Pflegebudget (Prüfung durch Kassen). Und on top hat der Bundesgesundheitsminister ein Transparenzgesetz angekündigt, durch das Qualitätsinformationen der Krankenhäuser gesammelt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollen. Auch das wird mit zusätzlichen Datenerhebungen in den Kliniken einhergehen. Entbürokratisierung geht anders!

Melanie Kanzler

Nein. Es ist die Absicht, durch die vorgesehenen Leistungskorridore Kapazität vom Markt zu nehmen. Der Vorschlag sieht deswegen vor, wenn 80 % der vereinbarten Leistungsmengen erbracht wurden, verringert sich der Erlös der restlichen Fälle um den 60%igen Vorhalteanteil. Damit wird die Versorgungskapazität politisch begrenzt. Um die politische Begrenzung der Leistung zu kompensieren, könnte eine Reaktion der Häuser sein, ausgewählte Fälle häufiger zu erbringen. Dann hätte das Vorhaltebudget den gegenteiligen Effekt: Nicht weniger, sondern mehr Ökonomie in der Medizin. Und damit würde ein zentrales Ziel der Reform ins Leere laufen.

Fazit 

Das BMG hat drei Ziele für die Krankenhausreform ausgegeben: erstens eine Entökonomisierung, zweitens eine Steigerung der Behandlungsqualität und drittens eine Entbürokratisierung. Wie unsere Interviewpartnerinnen eindrucksvoll darlegen, scheint man in der Realität von der Erreichung dieser Ziele noch um einiges entfernt zu sein. Unstrittig erscheint die Notwendigkeit einer Reform, insbesondere im Bereich der Krankenhausfinanzierung. Der für die Reform notwendige Transformationsprozess benötigt verlässliche Rahmenbedingungen und eine auskömmliche Finanzierung. Die aktuellen Entwicklungen mit einer Zunahme der Insolvenzen im Krankenhausbereich deuten darauf hin, dass eine „kalte Strukturbereinigung“ eine vom BMG akzeptierte Realität darstellt.

Dieser Artikel stammt aus unserem Mandantenmagazin Curacontact, das 4 x im Jahr aktuelle Themen für die Gesundheits- und Sozialwirtschaft, für Öffentlichen Sektor und Kirche aufbereitet. Interesse? Jetzt kostenlos abonnieren!

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