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Der Behandlungsfehlerbegriff

Arzthaftungsrecht Teil 1

Ärztliches Handeln muss drei grundsätzlichen Voraussetzungen genügen, um beruflich legitimiert zu sein. Erstens erfordert der Eingriff eine sachliche Rechtfertigung. Zweitens bedarf der Arzt des Einverständnisses seines aufgeklärten Patienten – hierzu erfahren Sie mehr in unserem Beitrag Einwilligung nur nach Aufklärung. Drittens hat er bei der Durchführung des Eingriffs den fachlichen Regeln zu entsprechen (Verfahren lege artis). Verletzt der Arzt die Pflicht zur fachgerechten Behandlung oder missachtet er das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, so ist er zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Im Folgenden werden wir uns im Detail mit dem ärztlichen Behandlungsfehlerbegriff beschäftigen:

Der ärztliche Behandlungsfehler bezeichnet das nach dem Stand der Medizin unsachgemäße Verhalten des Arztes. Dieses kann sowohl in einem Tun als auch in einem Unterlassen liegen, in der Vornahme eines nicht indizierten sowie in der Nichtvornahme eines gebotenen Eingriffs, in Fehlmaßnahmen und unrichtigen Einschätzungen des Arztes bei der Anamnese, der Untersuchung, der Diagnose, der Prophylaxe, der Therapie und der Nachsorge.

Der Begriff des Behandlungsfehlers beschränkt sich nicht nur auf „klassische“ Fehler bei der Durchführung medizinischer Maßnahmen. Nach ständiger Rechtsprechung fallen darunter auch Fehler im Behandlungsumfeld; die Gerichte legen dabei einen weiten Maßstab an. Diagnoseirrtümer werden von der Rechtsprechung allerdings nur zurückhaltend als Behandlungsfehler gewertet, da Krankheitsbilder häufig vieldeutig sind und Symptome auf unterschiedlichste Ursachen hinweisen können.

Die Feststellung, ob im konkreten Fall ein Behandlungsfehler vorliegt, erfolgt anhand eines Vergleichs der tatsächlich durchgeführten ärztlichen Behandlung mit den nach den Regeln der medizinischen Wissenschaft in diesem Zeitpunkt angezeigten Maßnahmen. Als Maßstab dient der sog. „(Facharzt-) Standard“. Also das Verhalten eines (durchschnittlich befähigten) gewissenhaften Facharztes in der konkreten Behandlungssituation. Daran wird die konkret erbrachte ärztliche Leistung gemessen. Bleibt sie hinter dem Geforderten zurück, trifft den Verantwortlichen eine Einstandspflicht für die Folgen des Eingriffs.

Für eine Vielzahl von Krankheitsbildern gibt es Empfehlungen zur Diagnostik und Behandlung in sog. Leitlinien. Sie geben den medizinischen Standard meist zutreffend wieder, können aber auch hinter diesem zurückbleiben. Die dürfen deshalb der Beurteilung des medizinischen Sachverhalts nicht ungeprüft zugrunde gelegt werden. Gleichermaßen führt das Abweichen von einer Leitlinie nicht automatisch zu einem Behandlungsfehler. Des Weiteren führt die leitlinienabweichende Behandlung eines Patienten auch nicht zu einer Beweislastumkehr. Dies erfordert das Vorliegen eines sog. groben Behandlungsfehlers.

Unter einem groben Behandlungsfehler versteht man ein Fehlverhalten, welches eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln verstößt und aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil ein solcher Fehler einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (vgl. BGH, Urt. v. 04.10.1994, Az. IV ZR 205/93). Ist der Nachweis der groben Pflichtwidrigkeit gelungen, kehrt sich die Beweislast hinsichtlich der Ursächlichkeit für den (Primär-)Schaden zulasten der Behandler- bzw. Beklagtenseite um.

Die rechtliche Einordnung als einfacher oder grober Behandlungsfehler kann im Haftungsprozess entscheidend sein, insbesondere im Hinblick auf die Beweislast. 

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