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Die soziale Dimension der Nachhaltigkeitsberichterstattung

ESG-Kriterien

Am 26. Februar 2025 hat die Europäische Kommission im Rahmen der Omnibus-Verordnung bedeutende Änderungen zur Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) vorgeschlagen. Ziel ist es, die Nachhaltigkeitsberichterstattung gezielter, schlanker und für Unternehmen praktikabler zu gestalten, sowie Berichterstattungspflichten, die sich überschneiden, abzubauen. Die Änderungen befinden sich derzeit im Gesetzgebungsverfahren. Die endgültige Entscheidung ist noch abzuwarten. Dennoch: Organisationen der Gesundheits- und Sozialwirtschaft sollten die gewonnene Zeit strategisch nutzen, um Prozesse, Datenstrukturen und Verantwortlichkeiten aufzubauen – speziell im Hinblick auf das Kriterium „S“ (Social) ist eine kurzfristige Priorisierung ratsam.

ESG – und was bedeutet das „S“?

ESG steht für Environmental, Social und Governance – drei „Dimensionen“, anhand derer Unternehmen ihre Nachhaltigkeitsleistung offenlegen müssen. Während der Umwelt- und der Governance-Bereich häufig im Fokus stehen, wird die soziale Dimension (S) zunehmend bedeutsamer – insbesondere für Einrichtungen mit sozialem und gesellschaftlichem Auftrag. Sozialer Mehrwert wird beispielsweise durch Arbeitsbedingungen, Gleichstellung, Inklusion, gesellschaftliche Teilhabe und Zugang zu Gesundheitsversorgung geschaffen. Ziel ist es, die Lebensqualität von Mitarbeitenden, Nutzerinnen und Nutzern sowie Gemeinschaften zu verbessern und soziale Ungleichheiten zu verringern. Gerade in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft ist dies kein Nebenaspekt – sondern Kern der täglichen Arbeit.

ESRS – was ist zu berichten?

Die Grundlage für die künftige Nachhaltigkeitsberichterstattung bilden die European Sustainability Reporting Standards (ESRS). Sie konkretisieren die Inhalte, die berichtspflichtige Unternehmen im Rahmen der CSRD offenlegen müssen. Für den Bereich „Social“ sind insbesondere die vier sozialen Standards relevant:

  • ESRS S1 – Eigene Belegschaft: Themen wie Arbeitsbedingungen, Entlohnung, Weiterbildung, Diversität, Gleichstellung und Gesundheitsschutz. Zu beachten ist, dass auch Leiharbeitskräfte in der ESRS-Systematik dem ESRS S1 zugeordnet werden.
  • ESRS S2 – Arbeitskräfte in der Wertschöpfungskette: Fokus auf faire Arbeitsbedingungen bei Zulieferern und Dienstleistern.
  • ESRS S3 – Betroffene Gemeinschaften: Wirkung auf lokale Gemeinschaften, z. B. durch Standortpolitik oder gesellschaftliches Engagement.
  • ESRS S4 – Verbraucher und Endnutzer: Themen wie Produktsicherheit, Zugänglichkeit und Datenschutz.

Entscheidend ist: Nicht alle Themen müssen automatisch berichtet werden. Berichtspflicht besteht nur für Themen, die nach dem Prinzip der doppelten Wesentlichkeit als relevant gelten – also entweder einen erheblichen Einfluss auf Umwelt und Gesellschaft oder finanzielle Auswirkungen auf die Organisation selbst haben bzw. beides zusammen. Deshalb steht zu Beginn jeder Nachhaltigkeitsberichterstattung eine strukturierte Wesentlichkeitsanalyse, die sogenannte IRO-Erhebung (Impacts, Risks, Opportunities) und IRO-Bewertung. Ergänzend wird derzeit diskutiert, ob durch den Omnibus-Vorschlag einige Datenpunkte reduziert oder flexibilisiert werden sollen – vor allem, um kleinere und mittlere Unternehmen zu entlasten. 

Dennoch bleibt das Ziel klar: Eine transparente, vergleichbare und prüfbare Berichterstattung über den sozialen Impact von Organisationen – insbesondere dort, wo dieser zur gesellschaftlichen Grundversorgung beiträgt, wie in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen, Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen oder den diversen weiteren sozialen Trägerstrukturen.

S – wie wird der soziale Mehrwert gemessen?

Soziale Wirkung ist kein abstrakter Begriff – sie lässt sich mit den richtigen Mitteln sichtbar und bewertbar machen. Die Messung des sozialen Mehrwerts erfordert eine Verknüpfung quantitativer und qualitativer Ansätze. Quantitative Kennzahlen liefern eine erste Orientierung: Dazu zählen beispielsweise die Anzahl geschaffener Arbeits- und Ausbildungs-plätze, der Anteil tariflich vergüteter Mitarbeitender oder die Vielfalt innerhalb der Belegschaft. Ebenso wichtig sind Kennzahlen zu Prävention, Gesund-heitsschutz, Mitarbeiterbindung oder zu Teilhabechancen für benachteiligte Gruppen.

Ergänzt werden diese „harten Fakten“ durch qualitative Einschätzungen, etwa zur Zufriedenheit von Bewohner:innen oder Patient:innen, zur Wahrnehmung der sozialen Wirkung oder zur Verbesserung der Lebensqualität durch Angebote und Projekte. Gerade in der Sozialwirtschaft, wo die individuelle Wirkung auf Menschen im Mittelpunkt steht, ist dieser ganzheitliche Blick essenziell. 

Die größte Herausforderung bleibt dabei die Messbarkeit subjektiver Faktoren und die oft fehlende Vergleichbarkeit über verschiedene Organisationen hinweg. Umso wichtiger ist ein klarer methodischer Aufbau der sozialen Berichterstattung – angepasst
an die Realität der eigenen Einrichtung.

Praxisbeispiel Altenhilfe – von der Analyse zum Bericht

Praktische Erfahrungen aus einem Beratungsprojekt der stationären Altenhilfe zeigen, wie es gehen kann: Nach der Wesentlichkeitsanalyse wurden u. a. folgende Punkte durch entsprechend konkrete IROs (Impacts, Risks, Opportunities) als zentral identifiziert:

  • Geschlechterspezifisches Verdienstgefälle (S1-16)
  • Weiterbildungsmöglichkeiten (S1-12)
  • Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (S1-14)

Diese Themen wurden mit verfügbaren Datenpunkten verknüpft. Die anschließende GAP-Analyse zeigte: Nur ca. 60 % der Informationen sind vorhanden, wenngleich dezentral verfügbar, über verschiedene Abteilungen verteilt und nur teilweise digitalisiert. Ziel und nötige Konsequenz war daher, ein zentrales Nachhaltigkeits-Controlling aufzubauen, ergänzt durch qualitative Einschätzungen aus Mitarbeiterbefragungen. Ergebnis: ein belastbares Berichtsmuster mit realistischen Zielen, z. B. die Erhöhung der tariflichen Abdeckung auf 85 % bis 2026.

Die Zukunft beginnt jetzt – Soziales im Fokus

Der gesellschaftliche Fokus auf soziale Gerechtigkeit wächst, ebenso die regulatorischen Anforderungen. Mit der CSRD entsteht ein verbindlicher Rahmen, um sozialen Mehrwert sichtbar zu machen. Internationale Vergleiche – etwa die WHO-Initiativen zur Gesundheitsgerechtigkeit oder OECD-Berichte zur sozialen Teilhabe – zeigen: Das Thema wird international immer wichtiger.

Neue Technologien wie Telemedizin, KI-basierte Pflegeplanung oder digitale Patientenportale bieten zudem Potenzial, die Prozesse zu beschleunigen und die Erhebungseffizienz zu steigern. Diese Innovationen sollten zukünftig auch im Rahmen des ESG-Reportings erscheinen.

FAZIT

Die Messung des sozialen Mehrwerts ist Herausforderung und Chance zugleich. Speziell in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft ist das „S“ kein Randthema, sondern Teil der DNA. Die kommenden zwei Jahre bieten die Gelegenheit, den Grundstein für prüfsichere, glaubwürdige und wirkungsorientierte Nachhaltigkeitsberichte zu legen.

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