Die Herausforderungen in der Altenhilfe sind vielfältig und komplex. Leere Kassen, die demografische Entwicklung, der Mangel an Fachkräften und die steigenden Ansprüche der älteren Menschen an Wohn- und Pflegequalität stellen die Einrichtungen vor neue Aufgaben. In diesem Kontext rückt das Pflegekonzept „Stambulant“ in den Fokus, das als innovativer Ansatz zur Verbesserung der stationären Altenhilfe gilt.
Stambulant – was bedeutet das?
Stambulant bezeichnet einen integrativen Ansatz, der die Vorteile stationärer und ambulanter Pflegeformen miteinander verbindet. Er zielt darauf ab, pflegebedürftigen Menschen ein hohes Maß an Selbstbestimmung und Lebensqualität zu ermöglichen, während sie gleichzeitig die notwendige Unterstützung erhalten. Zudem wird An- und Zugehörigen eine Mitwirkung an der Pflege und Betreuung ermöglicht, die die privaten Kosten eines Pflegeplatzes senken kann.
Seit 2023 verzeichnet Deutschland einen überdurchschnittlichen Anstieg an pflegebedürftigen Menschen – der Bedarf an Pflegekräften wächst folglich, kann aber nicht mehr gedeckt werden. Gleichzeitig führt ein zunehmender Mangel an Beitragszahlenden zu weniger Geld in den Kassen. Studien zufolge wollen fast 90 % der Bevölkerung im Alter nicht in einem Pflegeheim, sondern zu Hause versorgt werden. Nur 9 % würden ein Pflegeheim bevorzugen. Gleichzeitig wird eine häusliche Versorgung mit steigendem Alter oder Pflegebedürftigkeit immer komplexer und ist oft nicht mehr leistbar.
Notwendig ist ein Wandel in unserem Pflegesystem: Einerseits sind die individuellen Bedürfnisse der Pflegebedürftigen sowie von deren An- und Zugehörigen zu berücksichtigen, andererseits ist aber auch der Einsatz von Personal und Sachmitteln flexibler und effizienter zu gestalten. Pflege muss finanzierbar sein – sowohl für die Kassen als auch für die Pflegebedürftigen selbst.
Im Rahmen einer stambulanten Versorgung wird durch flexible Angebote und eine Ambulantisierung der Pflege in Wohngruppen ermöglicht, dass die Bewohnerinnen und Bewohner der Einrichtung nicht nur innerhalb stationärer Strukturen leben, sondern auch aktiver am gesellschaftlichen Leben teilnehmen bei gleichzeitig effektiverem und kostengünstigerem Personaleinsatz. Es ist eine kluge Kombination aus stationärer und ambulanter Pflege, wobei ein stärkerer Fokus auf die Betreuung der Bewohnerinnen und Bewohner gelegt wird.
Die BeneVit-Gruppe hat mit ihrem Modellprojekt seit acht Jahren ein wegweisendes Beispiel für die Umsetzung des Stambulant-Konzepts geschaffen. Auch andere Träger gehen inzwischen ähnliche Wege, indem sie stationäres Ordnungsrecht hinsichtlich der Einrichtung mit ambulantem Leistungsrecht verbinden. Die bauliche Voraussetzung dafür ist, abgeschlossene Wohngemeinschaften, die jeweils mit Küche und Aufenthaltsraum ausgestattet sind, in den bis dahin stationären Einrichtungen zu gestalten bzw. bei Neubauten von Anfang an zu planen.
Die Erfahrungen aus dem Modellprojekt zeigen, dass Bewohner, die in einem stambulanten Umfeld leben, deutlich zufriedener sind. Sie nehmen aktiv an Freizeit- und Gesellschaftsangeboten teil und profitieren von der Nähe zu ambulanten Dienstleistungen. Zudem scheint die Integration von ambulanten Leistungen in die stationäre Pflege nicht nur die Zufriedenheit der Bewohnerinnen und Bewohner zu erhöhen, sondern auch die Belastung des Pflegepersonals zu verringern. Ein zentraler Aspekt ist die Möglichkeit der Mitgestaltung der eigenen Pflege durch die Bewohnerinnen und Bewohner bzw. deren An- und Zugehörige, die ihre Bedürfnisse und Wünsche äußern können.

Rechtlicher Rahmen
Die Regelungen zu dieser neuen Versorgungsform – bisher nur als Modellprojekt in Deutschland getestet – finden sich im neuen § 45j SGB XI. Die Idee ist, die Lücke zwischen den in häuslicher Versorgung bestehenden ambulanten Versorgungsformen und der klassisch vollstationären Pflege zu schließen. Dies gilt nicht für Einrichtungen wie Krankenhäuser oder solche der Eingliederungshilfe. Grundlage ist der Abschluss eines Vertrags zwischen den Pflegekassen und den Pflegediensten, in dem Pflegemaßnahmen, Betreuungsleistungen und auch die Qualitätssicherung vereinbart werden müssen. Eingebunden werden können (und sollen möglichst) Engagement von Angehörigen sowie ehrenamtlichen Helfern. Ein Kritikpunkt ist hierbei, dass der Referentenentwurf zwar die Möglichkeit zu stambulanter Pflege nunmehr schafft, Einzelheiten aber offenbleiben und weitergehender Regelungen der Vertragsparteien bzw. der Pflegeselbstverwaltung bedürfen.
Personalausstattung
Im Rahmen des Modellprojekts wurde auf Personalquoten vonseiten der Kostenträger verzichtet. Weniger Pflegefachkräfte, weniger Pflegehilfskräfte und mehr Betreuungs- und Hauswirtschaftskräfte übernehmen die 24-Stunden-Versorgung, was zu einer Absenkung der Personalkosten gegenüber einer klassischen stationären Pflegeeinrichtung führt. Dabei ist auch nachts eine Pflegefachkraft vorgesehen.
Erkenntnisse
Wissenschaftliche Studien bestätigen die Wirksamkeit des Stambulant-Ansatzes. Eine Untersuchung der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW) hat gezeigt, dass stambulante Modelle zu einer signifikanten Verbesserung der Lebensqualität führen. Dabei wurde festgestellt, dass die Bewohnerinnen und Bewohner seltener an Depressionen leiden und über eine höhere Lebenszufriedenheit berichten.
Die Universität Witten/Herdecke (UW/H) hat hingegen die wirtschaftlichen Aspekte solcher Modelle untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass die Kombination von ambulanter und stationärer Pflege nicht nur die Qualität der Versorgung verbessert, sondern auch die Kosten langfristig senken kann.
Durch die Entlastung der stationären Pflegekräfte und die frühzeitige Intervention in ambulanter Form können aufwändige Krankenhausaufenthalte vermieden werden.
Finanzierung des Stambulant-Ansatzes
Der stambulante Ansatz in seiner ursprünglichen Form hat nach wie vor den Status eines Modellprojekts, das dieses Jahr bereits zum sechsten Mal verlängert wurde. Zum Ende des Jahres 2024 wird erneut über eine Verlängerung entschieden.
In neuen Gesetzentwürfen, z.B. dem am 6. September 2024 vorgelegten Entwurf des Pflegekompetenzgesetzes (PKG), bleibt der Umgang mit innovativen Wohnformen offen. Die Refinanzierung des Modellprojekts setzt sich aus Leistungsvergütungen nach SGB XI, einem Wohngruppenzuschlag nach SGB XI sowie einer Betreuungspauschale zusammen. Die SGB V-Leistungen werden über eine SGB V-Pauschale refinanziert. Zudem verbleibt ein Budget für Wahlleistungen. Auf diese Weise soll ein passgenauer und flexibler Leistungsschnitt durch den Mix aus Grundleistungen bei Pflege und Betreuung ermöglicht werden, der zu Einsparungen von monatlich bis zu 1.000 Euro führen kann. Pflegende Angehörige können Pflegegeld beantragen, sofern sie sich selber in die Betreuung einbringen.
FAZIT
Vor allem für den ländlichen Raum scheint das Stambulant-Konzept ein sehr gutes Modell darzustellen. Angesichts der demografischen Veränderungen, der zunehmenden Bedeutung von Selbstbestimmung in der Pflege sowie der beschriebenen angespannten Situation in der stationären Pflege erscheint der Stambulant-Ansatz als eine Perspektive, die es zu fördern gilt.
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