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Systemkollaps – Steht er bevor?

Bestandsgefährdung durch Risiken und Belastungen

Träger im Gesundheits- und Sozialwesen sind aktuell mit dem Fachkräftemangel, mit Inflation, Auswirkungen der Pandemie, Preisexplosion bei Mieten, Strom- und Heizkosten sowie Baukosten, also mit einer Vielzahl von Risiken und Belastungen konfrontiert, die im Einzelfall zu einer Bestandsgefährdung führen können.

Krankenhäuser

Die Ergebnissituation ist 2021 nach dem „goldenen“ Ausnahmejahr 2020 wieder auf das niedrige Niveau von 2019 zurückgefallen. Nach einem Rückgang von 10 -15 % gegenüber 2019 verharren die Patientenzahlen im Jahr 2021 insgesamt auf dem niedrigen Niveau von 2020. Bei den stationären Fallzahlen ist keine Rückkehr auf „Vor-Corona-Niveau“ zu erwarten. Neben Aspekten wie der Ambulantisierung und intersektoralen Vernetzung beeinträchtigen der Fachkräftemangel und strukturelle Vorgaben (Pflegepersonal-Untergrenzen, Mindestmengen) signifikant die Leistungserbringung. In vielen Bundesländern belasten zusätzlich offene Entgeltvereinbarungen für die Jahre 2020 und 2021 die Liquidität der Krankenhäuser und die Transparenz über die wirtschaftliche Lage. Eine extreme Verschärfung der Liquiditätslage 2022/2023 ist aufgrund von Energiekostensteigerung und Inflation zu erwarten.

Die Anzahl der Krankenhäuser ist rückläufig, der Anteil der privaten Träger steigt im Zeitablauf. Die Scharfschaltung der Krankenhausplanung NRW (Umsetzung bis Ende 2024!) wird bundesweit mit großem Interesse verfolgt. Allgemein wird erwartet, dass die Planung die Schließung von Abteilungen oder Krankenhausstandorten zur Folge haben wird. Das Management der deutschen Krankenhäuser steht somit vor großen strategischen Herausforderungen. Es gilt das Dilemma aufzulösen, dass bei einer sich vergrößernden Kosten-/Erlösschere die Lücken einer unzureichenden öffentlichen Investitionsförderung durch operative Überschüsse geschlossen werden müssen. Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob und wie es gelingt, zumindest das ursprüngliche Leistungsniveau von 2019 wieder zu erreichen, oder ob das Angebot und die Strukturen an eine reduzierte Nachfrage anzupassen sind. Gesetzesvorhaben und die Unterfinanzierung der GKV verstärken den Druck auf Konsolidierung und Fokussierung – u. a. durch Vorgabe von Mindestmengen und Qualitätsindikatoren. Der zunehmende Wettbewerbs- und Kostendruck, fehlende Investitionsförderung und erhöhte Anforderungen an Qualitäts- und Strukturmerkmale forcieren die Bildung größerer Träger.

Pflegeeinrichtungen

Der Pflegemarkt wächst, ist aber unverändert stark fragmentiert. Insbesondere im Bereich der privaten Träger existiert noch eine Vielzahl von solitär betriebenen Kleinsteinrichtungen. Wachstum findet insbesondere im Bereich der ambulant betreuten Wohnformen statt, während das Angebot in der stationären Versorgung weitestgehend stagniert. Ambulant betreute Wohnformen weisen im Vergleich zur stationären Versorgung Vorteile in der Finanzierung über eine Inanspruchnahme der sog. Kombinationsleistungen, einen geringeren Personalbedarf sowie nicht zuletzt einen weniger regulierten Handlungsrahmen auf.

Die Pflegeeinrichtungen sind 2020/2021 aufgrund der Schutzschirme besser als erwartet durch die Pandemie gekommen. Auf Betriebsebene geraten die Renditen 2022 die bei verstärktem Trend zur kostenbasierten Vergütung und ausufernden Kostensteigerungen unter Druck. Kostensteigerungen resultieren aus der aktuellen Energiekrise, Inflation, Umsetzung der Tariftreuepflicht, Inanspruchnahme von Fremdpersonal aufgrund von Personalmangel sowie Wegfall des 150-er Schutzschirms trotz anhaltender coronabedingter Beeinträchtigungen. Die Realisierung von Bauprojekten wird durch deutlich steigende Zinsen sowie aufgrund einer häufig nicht refinanzierbaren Baukostenentwicklung in Frage gestellt oder unmöglich gemacht.

Angesichts der wachsenden Herausforderungen drohen zahlreiche Pflegeeinrichtungen in eine wirtschaftliche Schieflage zu geraten. Das operative und strategische Controlling ist weiterzuentwickeln sowie die Systemlandschaft zu optimieren. Ziel ist es, dass die Daten automatisiert aus den vorhandenen Vorsystemen extrahiert und die benötigten Berichte und Reports im weiteren Schritt weitgehend automatisiert generiert werden können. Die dargestellten Trends sowie die Notwendigkeit zur Effizienzsteigerung lösen Investitionsbedarf aus. In der Systematik einer dualen Finanzierung von Pflegeeinrichtungen kann die Investitionsfähigkeit nur begrenzt über Überschüsse aus dem operativen Pflegebetrieb gewährleistet werden. Aktuell gilt es sicherzustellen, dass der operative Betrieb aber zumindest kostendeckend gestaltet werden kann.

Eingliederungshilfe und Kinder- und Jugendhilfe

In diesen Branchen ist die Heterogenität von Angebot und Einrichtungen besonders hoch, was eine übergreifende wirtschaftliche Einordnung verzerren würde. Die größte Vergleichbarkeit ergibt sich im Bereich der Werkstätten (WfbM), die von 2020 auf 2021 dank eines Anstiegs der Produktions- und Dienstleistungsaufträge ihre Rentabilität ungefähr wieder auf Vor-Corona-Niveau anheben konnten. Aktuelle Kostenentwicklungen werden jedoch ab 2022 wieder zu einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage führen.

Die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) in der Eingliederungshilfe und die Reform des SGB VIII durch das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG) wird tiefgreifende Veränderungen mit sich bringen. Es besteht die Notwendigkeit, die Organisation in der Übergangszeit für die zukünftigen Anforderungen vorzubereiten. Wenngleich vordergründig Qualitätsaspekte und Klientelbedürfnisse im Fokus stehen, darf nicht übersehen werden, dass mit dem Systemumbau auch eine Kostenreduzierung erreicht werden soll.

Der Mangel an qualifizierten Fachkräften und hier insbesondere Pädagog:innen, und der Wettbewerb um diese ist eine der größten Herausforderungen. Perspektivisch wird insbesondere die Bedeutung der Versorgung älterer Menschen mit Behinderung, die pflegebedürftig werden, zunehmen. Hierbei gewinnt das Schnittstellenmanagement zu anderen Hilfearten (Pflege, Kinder- und Jugendhilfe) an Bedeutung. Es besteht hoher Investitionsbedarf zur Bestandssanierung (Energieeffizienz), zu strukturellem Umbau (Ambulantisierung, Inklusion und Modernisierung) und Kapazitätserweiterung (wachsende Nachfrage in den Hilfearten) sowie Digitalisierung bei gleichzeitigem Rückzug der öffentlichen Hand aus der Investitionsfinanzierung. Insbesondere kleineren Trägern fehlen die Finanzkraft und ausreichende Managementkompetenz, um die Zukunftsfähigkeit sicherzustellen und die notwendigen Innovationen zu entwickeln und umzusetzen.

Geänderte Anforderungen an die Angebote, wie eine stärkere Sozialraum- und Wirkungsorientierung, führen dazu, dass Portfolios überprüft werden und Organisationen sich neu aufstellen müssen. Hierin liegen auch Chancen in der Umsetzung von Wachstumsstrategien, Erschließung neuer Geschäftsfelder sowie Organisations- und Strukturentwicklung.

Komplexträger

Bei der wirtschaftlichen Entwicklung weisen Komplexträger im Curacon-Benchmarking für 2021 dank einer relativ stabilen Kostenquote nur einen leichten Renditerückgang auf – mit 1,68 % gegenüber dem Vorjahr von 1,88 %. Auch dieses Ergebnis ordnet sich in der Rückschau, vergleichbar mit dem Krankenhaus-Bereich, zwischen den Jahren 2017 und 2018 ein. Rendite und Eigenkapitalquote hängen sehr stark ab von der Zusammensetzung und Gewichtung der Leistungsangebote. Vielfach sind in Komplexträgerstrukturen mit unterschiedlicher Gewichtung die Fachbereiche Kinder- und Jugendhilfe, Behindertenhilfe, Psychiatrie oder Sucht eingebettet. Der Vorteil eines ausgewogenen Portfolio-Mixes besteht darin, dass die Träger finanzielle Spielräume aus rentablen Geschäftsfeldern nutzen können, um sich in unterfinanzierten Bereichen weiter zu betätigen.

Fazit

Eine sich abzeichnende Rezession bei deutlich steigenden Schulden und Zinsbelastungen schränkt die Handlungsspielräume der öffentlichen Haushalte ein. Es besteht die Gefahr, dass die sozialen Sicherungssysteme nicht in der Lage sein werden, die Entwicklung des Lebensstandards so fortzuführen, wie wir es gewohnt sind. Ein Abbau und Umbau der Versorgungsstrukturen wird aber auch vor dem Hintergrund des Personalmangels unvermeidbar sein. Lösungsansätze zur Vermeidung einer Rezession liegen gesamtgesellschaftlich darin, dass mehr Menschen arbeiten und/oder dass alle produktiver arbeiten. Es sind daher Wege zu finden, Ineffizienzen im System zu reduzieren und den notwendigen Fortschritt, Innovationen und Produktivitätssteigerungen durch Investitionen in nachhaltige Energiegewinnung und emissionsarme Technologien klimaneutral zu gestalten. Ein „Produktivitätsboost“ hat auch schon vor einem Vierteljahrtausend aus der Armut geführt.

Dieser Artikel stammt aus unserem Mandantenmagazin Curacontact, das 4 x im Jahr aktuelle Themen für die Gesundheits- und Sozialwirtschaft, für Öffentlichen Sektor und Kirche aufbereitet. Interesse? Jetzt kostenlos abonnieren!