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Erste Lehren aus dem Wirecard-Skandal

Ein ausführlicher Überblick

Seit Monaten ist die Tagespresse voll von Artikeln zum sog. Wirecard-Skandal. Der Fall Wirecard ist ausgesprochen komplex und es bestehen noch viele Unsicherheiten über den Sachverhalt. Wirecard soll vermutlich mindestens seit 2015 unentdeckt von Aufsichtsbehörden und Wirtschaftsprüfern Bilanzen gefälscht haben. So waren die in der Bilanz ausgewiesenen und angeblich auf Treuhandkonten auf den Philippinen liegenden Guthaben von 1,9 Mrd. € tatsächlich aber nicht vorhanden.

Wer hat alles versagt?

Die Liste der Institutionen, denen in diesem Zusammenhang ein Fehlverhalten oder ein Versagen vorgeworfen wird, ist lang. Neben Vorstand und Aufsichtsrat der Wirecard AG werden der Abschlussprüfer EY (Ernst & Young GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft), die Abschlussprüferaufsichtsstelle (APAS), die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) die BaFin, die Deutsche Börse, das Bundesministerium der Finanzen oder die Financial Intelligence Unit (FIU), die als Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen Verdachtsmeldungen nach dem Geldwäschegesetz analysiert, genannt. Eine abschließende Beurteilung möglicher Versäumnisse des Abschlussprüfers ist nicht möglich. Der Wirtschaftsprüfer EY kann als betroffener Abschlussprüfer an der Aufarbeitung des Falls in der Öffentlichkeit selber kaum mitarbeiten, da ein Abschlussprüfer einer umfassenden gesetzlichen Verschwiegenheitsverpflichtung unterliegt. Unabhängig von den rechtlichen Konsequenzen ist der Imageschaden für EY enorm, es droht der Verlust von Aufträgen.

Zielsetzung der Abschlussprüfung

Nach den gesetzlichen Vorgaben des § 317 Abs. 1 Satz 3 HGB hat der Wirtschaftsprüfer die Abschlussprüfung so anzulegen, dass Unrichtigkeiten und Verstöße gegen gesetzliche Vorschriften zur Rechnungslegung, die sich auf die Darstellung des sich nach § 264 Abs. 2 HGB ergebenden Bildes der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens wesentlich auswirken, bei gewissenhafter Berufsausübung erkannt werden. Durch die Prüfung soll also mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden, ob im vorgelegten Abschluss entweder keine wesentlichen falschen Angaben aufgrund von Unrichtigkeiten und Verstößen enthalten sind, oder – soweit im Rahmen der Prüfung wesentliche Unrichtigkeiten oder Verstöße aufgedeckt wurden – diese berichtigt worden sind.

Auch wenn die Abschlussprüfung eine vorbeugende Wirkung hinsichtlich der Verhinderung von Unrichtigkeiten und Verstößen hat, liegt die Verantwortung für die Verhinderung von Unrichtigkeiten und Verstößen bei den gesetzlichen Vertretern sowie den maßgeblichen Aufsichtsgremien.

Der Abschlussprüfer hat die Abschlussprüfung ist mit einer kritischen Grundhaltung gegenüber dem geprüften Unternehmen, dessen gesetzlichen Vertretern, Mitarbeitern und Aufsichtsorgan zu planen und durchzuführen. Dabei muss auch das Risiko berücksichtigt werden, dass Kontrollmaßnahmen durch das Management außer Kraft gesetzt werden. Jedoch ist der Prüfungsansatz einer gesetzlichen Pflichtprüfung nicht auf die gezielte Aufdeckung von Vermögensschädigungen ausgerichtet. Ob der Abschlussprüfer in Fall Wirecard eine kritische Grundhaltung bewahrt hat, ob er eine adäquate Risikobeurteilung und als Reaktion darauf entsprechende Prüfungshandlungen durchgeführt hat und ob er somit unter Einhaltung der berufsrechtlichen Vorgaben gewissenhaft geprüft hat, werden wohl erst Gerichte nachlaufend klären.

Konsequenzen aus dem Skandal

Als Konsequenz aus dem Wirecard-Skandal sind verschiedene Reformvorschläge im Gespräch. In der Presse wird über einen 16 Maßnahmen umfassenden Plan des Bundesfinanzministers zur Reform der Finanzaufsicht berichtet. Neben einer Stärkung der Aufsichtsbehörden soll u. a. für kapitalmarktorientierte Unternehmen die Höchstlaufzeit des Prüfungsmandats von 24 auf 10 Jahre verkürzt werden. Auch sollen Abschlussprüfung und Beratung schärfer getrennt werden, um Interessenskonflikten zu begegnen. Hierzu ist anzumerken, dass der Wirecard-Skandal auch bei Trennung von Prüfung und Beratung vermutlich nicht verhindert worden wäre. Die Beratungsleistungen und -umsätze des Abschlussprüfers bei Wirecard waren gemessen an dem Abschlussprüferhonorar nur gering. Die vorgeschlagene Trennung mag zur Stärkung des Vertrauens in den deutschen Finanzmarkt bei der Prüfung von kapitalmarktorientierten Unternehmen noch verständlich erscheinen. Im Hinblick auf mittelständische Unternehmen ist sie jedoch nicht sinnvoll. Vielmehr widerspricht sie auch den Interessen des Mittelstandes. 

Die Vorschläge der Wirtschaftsprüferkammer zielen u. a. darauf ab, dass sich Abschlussprüfer von Unternehmen von öffentlichem Interesse künftig bei einem berechtigten Interesse gegenüber Behörden, Dritten oder der Öffentlichkeit äußern und verteidigen können. Insoweit soll die berufsrechtliche Verschwiegenheit aufgehoben werden. Auch die Berufsaufsicht der Wirtschaftsprüfer soll die Möglichkeit erhalten, bei öffentlichem Interesse über die Einleitung berufsrechtlicher Maßnahmen berichten zu können. Auch hier würde die bisher geltende Verschwiegenheit aufgehoben.

Es bleibt abzuwarten, welche Konsequenzen aus dem Wirecard-Skandal letztlich gezogen werden. In jedem Fall nehmen dadurch Überlegungen zur Fortentwicklung der Corporate-Governance-Strukturen von Unternehmen aber auch zur Rolle des Abschlussprüfers deutlich an Fahrt auf.

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