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Interview: Nachhaltigkeit und Aufsicht

Tobias Allkemper und Daniela Heisig im Gespräch mit Marlehn Thieme, Präsidentin der Welthungerhilfe

Nachhaltigkeit – das ist zweifellos eines der Trendwörter unserer Zeit. Als ehemalige Vorsitzende des Deutschen Rats für nachhaltige Entwicklung sind Sie sicherlich ideale Ansprechpartnerin für die Frage: Was ist für Sie Nachhaltigkeit?

Ich spreche gerne von einer nachhaltigen Entwicklung, „die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und ihren Lebensstil zu wählen.“ Damit werden in heutigem Verständnis soziale, ökonomische und ökologische Ziele formuliert, die eine lebensfähige, lebenswerte und faire Zukunft ermöglichen.

Wie bewerten Sie mit Blick auf das Thema Nachhaltigkeit die Entwicklung der letzten Jahre in Deutschland? Gerade auch im internationalen Vergleich?

Deutschland hat sich sehr ambitionierte Ziele gesetzt, Verfahren entwickelt und Institutionen – wie zum Beispiel den Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) aufgebaut, die das Thema mit Erfolg treiben. Als reiche Industrienation haben wir aber auch immense Aufgaben in Sachen CO2-Minderung, nachhaltige Rohstoffkreisläufe und faires Zusammenleben u.a. mit den Menschen in den Ländern des Südens zu erledigen, und dabei sind wir trotz einiger Fortschritte deutlich noch nicht weit genug gekommen.

Unsere neue Regierung ist noch recht frisch dabei. Welche Veränderungen erwarten Sie aufgrund der neuen Regierungskonstellation, die ja schon qua Parteienzusammenstellung deutlich „grüner“ ist?

Nachhaltigkeit bedeutet auch, dass Zielkonflikte um eine dritte Komponente größer werden. Früher bestanden sie darin, zwischen ökonomischen und sozialen Zielen auszubalancieren. Heute geht es zusätzlich um die ökologischen Herausforderungen und in einer globalen Welt auch um die Fragen der weltweiten und der intergenerationellen Fairness. Dies ist mit besonderer Dringlichkeit in den letzten Jahrzehnten deutlich geworden, weil wir auf der ganzen Welt mit unserem Lebenstil Ressourcen endgültig verbrauchen und Natur und Luft so verschmutzen, dass die Menschen im Süden und nach uns nicht mehr die gleichen Ausgangsvoraussetzungen vorfinden. Diesen sich verschärfenden Zielkonflikten wird sich auch die neue Regierungskoalition stellen müssen. Und ich hoffe, dass sie bald verlässliche Rahmenbedingungen für die enormen Veränderungen und notwendigen Investitionen schaffen wird.

Nun der Blick auf die Unternehmen: Welche Erwartungen haben Sie an eine gute Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen? Und wie hoch schätzen Sie die Gefahr des reinen „Greenwashings“?

Primär geht es doch um Nachhaltigkeitsmanagement der Unternehmen! Das Reporting ist ein Instrument, das den Stakeholdern, seien es Gesellschafter, Mitarbeiter:innen oder kreditgebende Banken den verlässlichen Eindruck vermittelt, dass ein Unternehmen seiner Verantwortung gerecht wird, so wie es verlässlich Gehälter zahlt, Kundenforderungen bedient und Steuern zahlt. Diese Verlässlichkeit kann mit testierten Berichten und Zertifizierungen das notwendige Vertrauen generieren. Die Kriterien müssen natürlich stimmen, aber auch so konkret sein, dass es nachvollziehbar und vergleichbar wird, um Täuschungsversuche wie Greenwashing zu verhindern.

Und wie sehen Sie dies konkret auf kirchliche Einrichtungen/Unternehmen der Diakonie bezogen? Gibt es dort aus Ihrer Sicht spezifischere oder abweichende Anforderungen?

Auch dies sind zunächst einmal Unternehmen, die mit Ressourcen materieller oder personeller Art betrieben werden, darin unterscheiden sie sich nicht von anderen Dienstleistungsunternehmen. Dann kommt zusätzlich die sozial-diakonische Komponente hinzu, die ja das Proprium ausmacht. Hierfür konkrete Kriterien, Aspekte und ggf. auch Messgrößen zu finden, haben sich soziale und auch viele diakonische Unternehmen auf einen erfolgreichen Weg begeben und Leitfäden und zum Beispiel auch den „Nachhaltigkeitskodex in der Soziokultur“ entwickelt. Der Name klingt etwas fremd, beschreibt aber das Vorgehen und relevante Kriterien sehr gut. Hier sind natürlich noch Lern- und Adaptionsprozesse für die jeweiligen Unternehmensbranchen auch im diakonischen Bereich notwendig, aber wer nicht tatkräftig loslegt, hat die nachhaltige Zukunft schon verloren!

Als Wirtschaftsprüfungsgesellschaft denken wir natürlich häufig in greifbaren, prüfbaren Dimensionen. Daher die Frage: Was halten Sie von dem Instrument der Gemeinwohlbilanz – als Ergänzung zum Jahresabschluss als klassischem Rechnungslegungsinstrument?

Auch die Gemeinwohlbilanz kann ein ergänzendes Instrument gerade für gemeinnützige Unternehmen sein. So wie in der Diskussion um die EU-Taxonomie für Finanzdienstleister werden wir auch in diesem Bereich noch weitere Entwicklungen sehen, zu denen die Wirtschaftsprüfer ja wichtigen Input aus ihrem Überblick leisten können. Als Letztes wird sicher eine staatliche Rahmenregulierung kommen (müssen), damit nicht nur der Staat und die Industrie ihre Wirtschaftsweise verändern, sondern auch die Sozialbranche mit anpackt.

Liebe Frau Thieme, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Sie möchten wissen, wie es weitergeht?
In Teil 2 dieses Interviews wirft Marlehn Thieme einen Blick auf Gemeinwohlorientierung, Nachhaltigkeitskriterien als Bestandteil guter Corporate Governance und auf Kennzahlen, die auch nach neuen Standards " bankable" sind. Hier finden Sie die Gesamtausgabe des Interviews.

Dieser Artikel stammt aus unserem Mandantenmagazin Curacontact, das 4 x im Jahr aktuelle Themen für die Gesundheits- und Sozialwirtschaft, für Öffentlichen Sektor und Kirche aufbereitet. Interesse? Jetzt kostenlos abonnieren!