Ziel der neuen Pflegereform war es ursprünglich, die Rahmenbedingunge für die Pflege zu verbessern sowie Pflegebedürftige und Angehörige zu entlasten. Im Oktober 2020 hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn ein Eckpunktepapier zum neuen Pflegereformgesetz vorgelegt, welches zum 1. Juli 2021 in Kraft treten sollte. Zwischenzeitlich rückten jedoch die Corona-Pandemie und die hiermit verbundenen Fragen in den Vordergrund.
Nachdem die dritte Corona-Welle gebrochen zu sein scheint, geraten alte und ungelöste Probleme wieder ins Blickfeld. Einzelne Punkte aus der Pflegereform sollen nunmehr in abgespeckter Form über Änderungsanträge in das Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (GVWG) eingebracht und nach Lesung voraussichtlich am 10./11. Juni 2021 im Bundestag verabschiedet.
Nachdem ein flächendeckender Tarifvertrag in der Pflege an den Arbeitgebern gescheitert war, sollen Pflegeeinrichtungen nunmehr verpflichtet werden nach Tarif zu bezahlen, um Geld von der Pflegekasse zu erhalten. Uneinigkeit herrscht jedoch in der Frage, ob und wie die angedachte Tarifpflicht ausgestaltet werden soll. Nach Auffassung von Arbeitsminister Hubertus Heil waren im Vorschlag von Herrn Spahn zu große Schlupflöcher in Form der sogenannten ortsüblichen Löhne enthalten.
Der Trend zur Einheitsvergütung löst zusätzlichen Handlungsbedarf aus, die Arbeitgeberattraktivität zu stärken, um sich im Wettbewerb um nicht im ausreichenden Umfang zur Verfügung stehendes Personal abzugrenzen.
Ebenso gibt es unterschiedliche Auffassungen, wie die stark ansteigenden Kostenbelastungen der Pflegeversorgung zwischen Pflegebdürftigen und Solidargemeinschaft aufgeteilt werden sollen. Die ursprüngliche Deckelung auf € 700 zeitlich befristet auf einen Zeitraum von 36 Monaten soll durch eine Staffellösung ersetzt werden. Hiervon profitieren übergangsweise Einrichtungen, bei denen die Eigenanteile unterhalb von € 700 liegen. Bei Einführung von Tariflöhnen, Kosten einer verbesserten Stellenbesetzung und zukünftigen Pflegesatzsteigerungen drohen den Pflegebedürftigen unverändert wachsende Kostenbelastungen, vor denen sie eigentlich geschützt werden sollten.
Während an der Umsetzung des Personalbemessungsverfahrens auf Basis des „Rothgang-Gutachtens“ festgehalten wird, ist die Verpflichtung zur Förderung der Investitionskosten € 100/Monat durch die Länder in den geplanten Änderungen nicht mehr enthalten. Die Euphorie über die angestrebte Verbesserung der Personalausstattung wird gebremst durch die Erkenntnis, dass das notwendigen Personal hierfür nicht zur Verfügung steht.
Zum Verlierer der verbesserten Personalaustattung droht die ambulante Pflege zu werden, wenn nur der Krankenhausbereich und die stationäre Pflege Zielgruppen der Programme zur Verbesserung der Personalausstattung bilden.
Entwarnung kann (vorerst) auch vermeldet werden in Bezug auf die angedachte Kürzung der Budgets für die Tagespflege ab dem 1. Juli 2022 auf 50 % bei Kombination mit Leistungen in der ambulanten Pflege. Diese EInschränkungen hätten über die eigentliche Zielgruppe der ungewollten Ambulansierungsformen in Form der sog. Stapellösungen auch andere Pflegebedürftige getroffen. Diese hätten dann vor der Frage gestanden, wie mit einer Verteuerung des ambulanten Versorgung-Settings bei gleichzeitiger Kostensenkung der stationären Versorgung umzugehen ist. Abgesehen davon, hätten diese Änderungen auch die Existenzen einer Vielzahl von Tagespflegeeinrichtungen in Frage gestellt.
Die Pflicht zur Zahlung von Tariflöhnen und Verbesserung der Personalausstattung wird den allgemeinen Trend zur Rückkehr zur Selbstkostendeckung und Kostennachweisen verstärken. Verlierer dieser Regelung werden Einrichtungen, die bisher Margen aus der Personalkostenfinanzierung erzielt haben.
Der Personalkostenblock (mehr als 2/3 des Gesamtbudgets) wird nach den neuen Spielregeln zu einer Art durchlaufendem Posten und auch in den Sachkosten gibt es meist keinerlei Gewinnmargen. Im Bereich der Investitionskosten besteht bereits seit den BSG-Urteilen vom 08.09.2011 ein Gewinnverbot.
Im Ergebnis ergibt sich hiernach zwischen gemeinnützigen und privaten Trägern eine gleichgerichtete Interessenlage, den seit dem Pflegestärkungsgesetz III im SGB XI gesetzliche verankerten Anspruch zum Ausgleich des Unternehmerrisikos in der Praxis auch angemessen durchzusetzen.
Im Ergebnis ist festzuhalten, dass unverändert eine nachhaltige nationale Demografiestrategie fehlt.
Die Entwicklung der Versorgungsanteile wird auch zukünftig sehr stark von Maßnahmen des Gesetzgebers zur Versorgungssteuerung abhängen. Unbeantwortet geblieben ist auch die Frage, ob die Solidargemeinschaft zukünftig bereit sein wird, wachsende Belastungen zu tragen, insbesondere wenn die geburtenstarken Jahrgänge hieran nicht beteiligt werden. Unternehmerische Entscheidungen benötigen einen zuverlässigen Handungsrahmen, der ohne eine nachhaltige nationale Demografiestrategie unverändert fehlt.
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