Das „Female Empowerment“-Paradoxon

Ergebnisse der Curacon-Studie zu Führung und Aufsicht in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft

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Die aktuelle Curacon-Studie zum Thema Führung und Aufsicht birgt viele interessante Erkenntnisse – mit Blick auf Strukturen, Kenntnisstand, Selbstevaluation oder Vergütung. Für :inSPIRE bietet es sich natürlich an, insbesondere das Thema von Frauen in Führungs- und Aufsichtsgremien näher zu betrachten.

Die Gesundheits- und Sozialwirtschaft verzeichnet schon immer einen besonders hohen Frauenanteil. Eine zuletzt veröffentlichte Statistik zeigt, dass mehr als 80 % der medizinischen Gesundheitsberufe im Jahr 2023 von Frauen bekleidet wurden (Statista, 2023).

Blickt man jedoch in die Führungs- und Aufsichtsgremien der Einrichtungen in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft, sieht die Situation deutlich anders aus: Hier sind unverändert Männer führend vertreten.

Auch das zuletzt im Jahr 2021 erweiterte Führungspositionsgesetz (FüPoG II), welches eine Mindestgeschlechterquote von je 30 % Frauen und Männer für börsennotierte Unternehmen vorsieht, hat keine relevante Veränderung gebracht.

Von dem FüPoG II bleiben die meisten Einrichtungen der Gesundheits- und Sozialwirtschaft zwar unberührt, im Hinblick auf die Ausstrahlungswirkung haben die Kodizes der freigemeinnützigen Träger jedoch eigene Empfehlungen für den Frauenanteil in Aufsichtsgremien etabliert. Darüber hinaus haben der diakonische Corporate Governance Kodex (DGK), der Verband der Diözesen Deutschlands oder auch die Kommission für caritative Fragen der Deutschen Bischofskonferenz ebenfalls Zielvorgaben für die Unternehmensführung festgelegt. Das diakonische Werk sieht bis 2026 einen Frauenanteil in Führungs- und Aufsichtsgremien von 40 % vor. Die Arbeitshilfe 182 empfiehlt sogar einen ausgeglichenen Anteil von Frauen und Männern.

Doch werden die vorgesehenen Quoten der Träger auch explizit von den Einrichtungen berücksichtigt? Die Ergebnisse der Curacon-Studie zeigen eindeutig, dass die konkrete Umsetzung der Frauenquote bei den teilnehmenden Einrichtungen ein Einzelfall bleibt.

In 88 % der Unternehmen existiert weder auf Führungs- noch auf Aufsichtsebene eine Frauenquote. Im Vergleich zu unserer Befragung im Jahr 2018 ist der Anteil der Unternehmen mit Frauenquote zwar leicht gestiegen, allerdings verbleiben die Zahlen auf niedrigem Niveau.

Quelle: Curacon Research (2024) – Studie Führung und Aufsicht in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft

Die Quote ist das eine, der tatsächliche Anteil von Frauen in der Unternehmensführung das andere – und deutlich wesentlichere. Hier zeigt sich eine starke Diskrepanz zwischen Realität und den Zielvorgaben in den Kodizes der befragten Unternehmen.

Die praktischen Erfahrungen unserer Studien-Teilnehmer zeigen, dass bei über der Hälfte (53 %) der teilnehmenden Unternehmen keine Frau in der Unternehmensführung vertreten ist. Bei etwa 33 % liegt der Frauenanteil in der Unternehmensführung über einem Drittel. Die Geschlechterverteilung im Aufsichtsgremium zeigt ein positiveres Bild. Bei über die Hälfte bestehen die Aufsichtsgremien aus mindestens 30 % Frauen – und kommen damit theoretisch den geforderten Quotenanteilen nach. In 8 % der befragten Unternehmen findet sich jedoch keine einzige Frau im Aufsichtsgremium. Zum Vergleich: Im Jahr 2018 lag dieser Wert noch bei 16 %.

Die praktische Ausgestaltung der Frauenquoten für Führung und Aufsicht in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft zeigt somit noch immer Lücken auf. Zwar gab es im Vergleich zum letzten Erhebungszeitraum im Jahr 2018 einen leichten Anstieg der Unternehmen mit Frauenquote und auch der Frauenanteil ist angestiegen, dennoch befinden sich diese Zahlen auf niedrigem Niveau. Mit mehr als 50 % der teilnehmenden Einrichtungen ohne Frau in der Führungsebene zeigt sich Nachholbedarf für die Frauenanteile in der Unternehmensleitung. Bis die Führungs- und Aufsichtsgremien den hohen Frauenanteil in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft angemessen repräsentieren, ist es somit noch ein langer Weg.

Ausschnitte aus dem Interview mit Marlehn Thieme

Es zeigt sich in den Ergebnissen, dass in den Aufsichtsgremien zumeist mindestens eine Frau vertreten ist. Auf der Ebene der Unternehmensführung sieht das anders aus: Hier ist bei mehr als 50 % der befragten Unternehmen keine Frau vertreten.

Woher kommt dieser Unterschied? Sind die Aufsichtsgremien fortschrittlicher?

Die Fortschritte zeigen deutlich, dass die immer noch schwierige Vereinbarkeit von Familie und Beruf vor allem zu Lasten der Frauen gehen. Auch fehlen in der Breite erfolgreiche Vorbilder auf allen Ebenen und Netzwerke, die Frauen noch mehr ermutigen, ihr Können zu präsentieren und Führungsverantwortung zu übernehmen. Und erst wenn Männer mehr Familienarbeit übernehmen, wird eine grundlegende Veränderung beschleunigt. Auch Aufsichtsgremien sind nur bedingt fortschrittlicher, wenn Anforderungsprofile von Männern formuliert werden und allein Frauen für die Suche weiblicher Talente verantwortlich sind.

Welche Maßnahmen können oder sollten ergriffen werden, um den Anteil von Frauen in den Aufsichtsgremien und den Unternehmensführungen weiter zu erhöhen?

Es bleibt neben der Förderung und Motivation von Frauen auch eine Aufgabe für Männer, die bei der Übernahme von Familienverantwortung beginnt, und bei der Wertschätzung für diversere Perspektiven und dem Respekt für auch andere Kommunikationsformen nicht endet.

Marlehn Thieme

Vorsitzende des ZDF-Fernsehrates und Präsidentin der Deutschen Welthungerhilfe e.V.

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