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Betreutes Wohnen

Umsatzsteuerbefreiung für Leistungen

I. Überblick

Der § 4 Nr. 16 UStG befreit Leistungen, die mit dem Betrieb von Einrichtungen zur Betreuung oder Pflege körperlich, kognitiv oder psychisch hilfsbedürftiger Personen eng verbunden sind. Die Steuerbefreiung beruht auf sozialpolitischen Erwägungen. Der Endverbrauch der begünstigten Leistungen soll erschwinglich sein und zu einer gesicherten Versorgung führen. Zu den begünstigten Leistungen gehören im Wesentlichen die Betreuungs- und Pflegeleistungen, die im Rahmen der sozialrechtlichen Anerkennung erbracht werden.

Schwierigkeiten in der Praxis liegen regelmäßig in der steuerlichen Abgrenzung der eng verbundenen Umsätze i. S. d. § 4 Nr. 16 UStG. Über die umsatzsteuerliche Behandlung von Leistungen im Zusammenhang mit betreutem Wohnen als eng verbundene Umsätze hatte das Finanzgericht Münster zu entscheiden – und kam zu einer begrüßenswerten Entscheidung.

II. FG Münster vom 25. Januar 2022

In dem Urteilsfall betrieb die Klägerin als GmbH eine Seniorenresidenz und erbrachte Leistungen im Rahmen des Pflegeheims sowie des betreuten Wohnens. Die Wohnungen befanden sich im Gebäude des Pflegeheims. Mit den Bewohnern wurden dafür neben Mietverträgen auch Betreuungsverträge geschlossen, die sowohl die Grundversorgung als auch andere Wahlleistungen einschließlich eines Notrufsystems umfassten. Für diese Leistungen forderte die Klägerin eine Umsatzsteuerbefreiung gem. § 4 Nr. 16 Satz 1 UStG, da es sich um eng mit der Betreuung oder Pflege hilfsbedürftiger Personen verbundene Leistungen handeln würde.

Das Finanzamt wiederum war der Auffassung, dass die Leistungen nicht an hilfsbedürftige Personen erbracht werden, da keine Einzelnachweise über die Hilfsbedürftigkeit des Einzelnen vorgelegt werden konnte.

Mit Urteil vom 25. Januar 2022 hat der 15. Senat des Finanzgerichts Münster der Klage stattgegeben. Für die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 16 UStG müssen aus Sicht des FG Münster mehrere Voraussetzungen vorliegen. Die Leistungen müssen (1) gegenüber dem in § 4 Nr. 16 Satz 1 UStG genannten Personenkreis erbracht werden, sie müssen (2) eng mit dem Betrieb von Einrichtungen zur Betreuung oder Pflege körperlich, geistig oder seelisch hilfsbedürftiger Personen verbunden sein und (3) von einer begünstigten Einrichtung im Sinne des § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. a) bis k) bzw. l) UStG erbracht werden, die die Leistungen nach § 4 Nr. 16 Satz 2 UStG im Rahmen ihrer Anerkennung ausführt.

 

  1. Die Bewohner des betreuten Wohnens sind als hilfsbedürftige Personen i. S. d. § 4 Nr. 16 Satz 1 UStG anzusehen, wenn sie aufgrund ihres körperlichen, geistigen oder seelischen Zustandes der Betreuung oder Pflege bedürfen, weil sie krank, behindert oder von einer Behinderung bedroht sind. Im vorliegenden Fall war die Hilfsbedürftigkeit begründet, da die Bewohner an altersbedingten Einschränkungen der Alltagskompetenzen litten. So legte die Klägerin unter anderem dar, dass teils eine Pflegestufe zuerkannt wurde, erhebliche Einschränkungen des Bewegungsapparates bestanden, die die Benutzung eines Rollators oder Rollstuhls erforderlich machten, oder eine fortwährende Alkoholabhängigkeit vorlag. Einer besonderen Schwere, die nach § 15 SGB XI für die Feststellung einer Pflegestufe bzw. eines Pflegegrades erforderlich ist, bedurfte es jedoch explizit nicht. 
  2. Zu den eng verbundenen Umsätzen gehören diejenigen Leistungen, die im Bereich der Sozialfürsorge und sozialen Sicherheit unerlässlich sind. Die Klägerin bot den Bewohnern des betreuten Wohnens ein breites Angebot an Leistungen an, die zur ambulanten Pflege gehörten und der Altenhilfe i. S. d. § 71 SGB XII zuzurechnen waren. Hierzu gehörten verschiedene Betreuungsleistungen im Rahmen der ambulanten Pflege, aber auch die Bereitstellung eines Notrufdienstes und bedarfsweise die kurzfristige Übernahme pflegerischer Leistungen, die hauswirtschaftliche Versorgung, das Einkaufen, das Kochen, das Reinigen der Wohnung und das Waschen der Kleidung. Diese Leistungen und die Leistungen der Grundversorgung waren zudem zur Befriedigung der Grundbedürfnisse spezifisch auf die Behebung altersspezifischer Einschränkungen gerichtet. Dies zeigte sich insbesondere darin, dass die Leistungen durch das im Pflegeheim eingesetzte und hierfür geschulte Personal erbracht wurden. Für das Finanzgericht Münster zählen die an die hilfsbedürftigen Bewohner erbrachten Leistungen somit eindeutig zu den Leistungen, die eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbunden sind.
  3. Die Leistungen wurden darüber hinaus zu mehr als 40 % bzw. ab dem 01.07.2013 zu mindestens 25 % von Trägern der Sozialversicherung ganz oder zum überwiegenden noch Teil vergütet, da die Klägerin aufgrund von teilweise festgestellten Pflegestufen der Bewohner zum Leistungsbezug nach §§ 36 ff. SGB XI berechtigt war. Zwar war dieses Kriterium in dem vorliegenden Urteilsfall unproblematisch, dass dies in der Praxis regelmäßig zu Abgrenzungsschwierigkeiten führen kann, zeigt die aktuelle Rechtsprechung. In den Urteilen des niedersächsischen Finanzgerichts vom 25.03.2021 (11 K 252/20) und des Finanzgerichts Hessen vom 20.10.2021 (1 K 736/19) kam es zum Ausschluss der Umsatzsteuerbefreiung für die erbrachten Leistungen im Rahmen der Betreuung und Pflege hilfsbedürftiger Personen. Knackpunkt war dort die Vergütungsbedingung des § 4 Nr. 16 UStG, nach der mindestens 25 % der Betreuungskosten von Trägern der Sozialversicherung ganz oder zum überwiegenden Teil vergütet werden müssen. Dabei werden Vergütungsbestandteile aus dem persönlichen Budget der Leistungsempfänger – wie in den Urteilsfällen geschehen - ausdrücklich nicht berücksichtigt, sodass die Vergütungsbedingungen nicht erfüllt waren.

Da die Leistungen im Urteilsfall im Zusammenhang mit dem betreuten Wohnen bereits nach § 4 Nr. 16 Satz 1 UStG steuerbefreit waren, entfiel eine Überprüfung durch das Gericht, ob die Vorschrift mit Unionsrecht unvereinbar wäre.

III. Erste Einordnung

Die Umsatzsteuerbefreiung für eng mit der Betreuung oder Pflege hilfsbedürftiger Personen verbundene Leistungen kann aus Sicht des FG Münster auch das betreute Wohnen umfassen, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen des § 4 Nr. 16 Satz 1 UStG erfüllt sind.

Das FG Münster legt dazu den Begriff der Hilfsbedürftigkeit weit aus und ordnet Leistungen, die der Linderung dieser Hilfsbedürftigkeit dienen, den eng mit der Sozialfürsorge und sozialen Sicherheit verbundenen Leistungen zu. Daraus ergibt sich für Einrichtungen der Altenhilfe erweiterter Handlungsspielraum für die Steuerbefreiung ihrer Tätigkeiten.

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