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IT-Kooperationen in der Sozialwirtschaft umsatzsteuerfrei?!

Möglichkeit für Kostenteilungsgemeinschaften

§ 4 Nr. 29 UStG – Umsatzsteuerbefreiung für Kostenteilungszusammenschlüsse

IT-Sicherheit und Cybercrime – das sind zwei Themenbereiche, denen sich immer stärker auch Unternehmen der Sozialwirtschaft stellen müssen. Die Entwicklung einer Digitalisierungsstrategie ist nicht mehr nur Kür, sondern eine Pflicht. Konträr dazu steht der Fachkräftemangel und der Kostendruck, den viele Unternehmen verspüren.

In diesem Spannungsfeld kann die Steuerbefreiung für Kostenteilungszusammenschlüsse des § 4 Nr. 29 UStG eine entscheidende Erleichterung bringen. Hierdurch könnte beispielsweise IT-Infrastruktur, die auf die Bedürfnisse der Mitglieder zugeschnitten ist, bereitgestellt werden, sowie Betrieb, Betreuung oder Administration wahrgenommen werden.

Voraussetzung ist zunächst ein selbstständiger Personenzusammenschluss. Dabei ist die Rechts- und Organisationsform unerheblich. Ausdrücklich möglich ist eine Organisation als eingetragene Genossenschaft (eG). Dies ist insofern von Bedeutung, als dass seit der Reform des Gemeinnützigkeitsrechts 2020 eine gemeinnützige Kooperation mit einer eG möglich ist. Gleichwohl ist die Gemeinnützigkeit keine Voraussetzung für den § 4 Nr. 29 UStG.

Die Mitglieder müssen die empfangene Leistung für nicht steuerbare oder die in der Norm abschließend aufgezählten steuerbefreiten Tätigkeiten unmittelbar verwenden – ansonsten besteht Steuerpflicht. Leistungen an Nichtmitglieder sind ebenfalls möglich, jedoch dann steuerpflichtig. Gleiches gilt bei einem Auslandsbezug.

Nach dem BMF-Schreiben vom 19. Juli 2022 soll eine unmittelbare Verwendung von empfangenen Leistungen seitens der Mitglieder/Gesellschafter zur Inanspruchnahme der Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 29 UStG beispielsweise dann gegeben sein, wenn Praxis- und Apparategemeinschaften Laboruntersuchungen, Röntgenuntersuchungen und andere medizinisch-technische Leistungen für ihre Mitglieder ausführen.

Bereitstellung von IT-Infrastruktur

Gleiches soll nach dem BMF-Schreiben gelten, wenn durch den Zusammenschluss IT-Infrastruktur, die „auf die Bedürfnisse der Mitglieder“ zugeschnitten ist, bereitgestellt und ihr Betrieb, die Betreuung oder die diesbezügliche Administration übernommen wird. Leistungen zum Zwecke von IT-Sicherheit und des Datenschutzes sollen hiervon ebenfalls umfasst sein.

Was unter einer IT-Infrastruktur, die „auf die Bedürfnisse der Mitglieder zugeschnitten ist“, zu verstehen ist, ist aktuell noch ungeklärt. Es stellt sich die Frage, ob hierunter angepasste Standardsoftware zu verstehen ist oder ob eine speziell für die Mitglieder entwickelte Software überlassen werden muss. Gegen Letzteres spricht die Wortwahl der Ausführungen im BMF-Schreiben. Ein Zuschneiden auf die Bedürfnisse setzt eine bereits existierende allgemeine Software voraus. Zudem dürfte der Begriff des „Zuschneidens“ im Verständnis eines Anpassens weitaus weniger weitgreifend sein als ein vollkommen neues Erstellen nach den Bedürfnissen und den Vorgaben des Nutzers. Es stellt sich die Frage, welchen Umfang eines solchen „Zuschneidens“ die Finanzverwaltung verlangt. Jedenfalls wird man aber das alleinige Zulassen der Überlassung von Spezialsoftware im Rahmen des § 4 Nr. 29 UStG ablehnen müssen.

Finale Rechtssicherheit dürfte hier über einen Antrag auf verbindliche Auskunft zu erreichen sein, der vor einer Realisierung des Sachverhaltes bei der zuständigen Finanzbehörde gestellt werden kann.

Vermeidung einer Wettbewerbsverzerrung

Schließlich darf es zu keiner Wettbewerbsverzerrung kommen. Zweck der Befreiung soll es nämlich sein, die Verzerrungen auszugleichen, die dadurch entstehen, dass größere Unternehmen viele Leistungen intern erbringen, während hingegen kleinere Unternehmen diese Leistungen (steuerbelastet) einkaufen müssen. Um diesen Zweck zu erfüllen, sollte das Merkmal eher im Lichte eines Missbrauchsvorbehalts verstanden werden. Hier besteht noch Klärungsbedarf, wann genau eine missbräuchliche Nutzung vorliegt. Denn das Ausnutzen von Synergien, indem Leistungen auch Nichtmitgliedern zur Verfügung gestellt werden, kann sogar sinnvoll sein. Ab wann diese Grenze überschritten ist, ist noch nicht abschließend geklärt.

Genaue Kostenerstattung

Sowohl die deutsche Norm des § 4 Nr. 29 UStG als auch deren europarechtliche Grundlage in Gestalt des Art. 132 Abs. 1 Buchst. f MwStSystRL macht die Umsatzsteuerbefreiung davon abhängig, dass die Kostenteilungsgemeinschaften von ihren Mitgliedern „lediglich die genaue Erstattung des jeweiligen Anteils an den gemeinsamen Kosten“ fordern. Was unter der „genauen“ Erstattung zu verstehen ist, lässt das Gesetz jedoch offen. Die Verwendung des Wortes „lediglich“ bringt bereits zum Ausdruck, dass es sich bei dem reinen Kostenersatz um weniger handelt, als zwischen fremden Dritten üblich sein dürfte. In diesem Sinne stellt das BMF sogleich weiter fest, dass ein pauschaler Aufschlag auf die tatsächlichen Ausgaben für die Erbringung der Leistung schädlich sei.

Die Finanzverwaltung sieht etwaig gleichwohl erzielte Gewinne nur dann als unschädlich an, wenn diese ausschließlich dazu bestimmt sind, der Finanzierung künftiger Investitionen zu dienen. Beispielhaft nennt das BMF eine Gewinnerzielung durch die Vereinbarung einer jährlichen Umlage. Welche Anforderungen an das „Bestimmtsein“ dieser Überschüsse gestellt werden, bleibt im BMF-Schreiben allerdings offen.

Praxisfragen

Unternehmen der Gesundheits- und Sozialwirtschaft erbringen in der Regel umsatzsteuerfreie und -pflichtige Leistungen nebeneinander. Für den Nachweis einer „bloßen Kostenabrechnung“ der nach § 4 Nr. 29 UStG erbringenden Leistungen dürfte es unseres Erachtens ausreichen, wenn diese innerhalb eines Unternehmens im Rahmen einer eigenständigen Kostenstelle abgebildet werden. Werden darüber hinaus Leistungen an Nichtmitglieder/-Gesellschafter erbracht, sind diese umsatzsteuerpflichtig abzurechnen bzw. bezüglich der Preiskalkulation nicht an eine (maximale) Kostenabrechnung gebunden.

In der Praxis von Unternehmen der Gesundheits- und Sozialwirtschaft könnte es sich beispielsweise auch anbieten, zur umsatzsteuerfreien Beförderung hilfsbedürftiger Personen einen Fahrzeugpool zu betreiben, der im Rahmen des sog. „Wet-Lease“ mit Personal an die Mitgliedsunternehmen gegen Kostenerstattung vermietet wird.    

Für die Inanspruchnahme der Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 29 UStG kämen neben einer Neugründung entsprechender Kostenzusammenschlüsse grundsätzlich auch bestehende Träger, wie eingetragene Vereine oder GmbH´s in Betracht. Dieser Weg könnte für bestehende Servicegesellschaften interessant sein, deren Mitarbeitende z. B. aus versorgungsrechtlichen Gründen kein Interesse haben, ihr Anstellungsverhältnis bei der Servicegesellschaft aufzugeben bzw. mit dem Kostenzusammenschluss ein neues Anstellungsverhältnis einzugehen. Für potenziell interessierte Kunden könnten das für die Inanspruchnahme der Umsatzsteuerbefreiung erforderliche Mitglieder-/Gesellschaftsverhältnis hierbei über den Erwerb von neuen Anteilen infolge einer Kapitalerhöhung begründet werden.  

Es bleibt insgesamt festzustellen, dass spätestens mit der Konkretisierung der Tatbestandsmerkmale durch das BMF-Schreiben vom 19. Juli 2022 die Gestaltungserfordernisse zur Anwendung des § 4 Nr. 29 UStG z. B. für geplante IT-Kooperationen an Klarheit gewonnen haben.

Angesichts unverändert fortbestehender rechtlicher Unwägbarkeiten bezüglich der Anwendung der Vorschrift erscheint es gleichwohl zielführend, die Umsatzsteuerfrage für geplante Modelle im Wege einer verbindlichen Auskunft mit der zuständigen Finanzbehörde abzuklären. Zumindest in NRW haben Vertreter der Finanzministerien hierfür bereits grünes Licht erteilt. Gerne unterstützen wir Sie dabei. Jetzt Kontakt aufnehmen!