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Tariftreuepflicht – Umsetzungsstand und Einzelheiten

Zum 1. September scharf geschaltet

Mit der Beschlussfassung des GVWG wurde sie eingeführt, die Tariftreuepflicht in der Altenpflege. Anfangs stark umstritten – bis hin zu Verfassungsbeschwerden einiger privater Träger, die jedoch in Karlsruhe gescheitert waren. Das Gericht hat es sich leichtgemacht und diese gar nicht erst zur Entscheidung angenommen. Die bemängelten Grundrechtseingriffe wogen schwer: u. a. Verletzung des Rechts auf Koalitionsfreiheit und Berufsfreiheit. Auf der anderen Seite steht der enorme Mangel an Pflegekräften und die Sicherstellung der umfassenden pflegerischen Betreuungsstruktur in Deutschland.

Die Konsequenz bei Nichtbefolgung einer Entlohnung auf tariflichem Niveau wäre hart: Träger müssten eine Kündigung ihres Versorgungsvertrags befürchten, also ein Ausscheiden aus der Refinanzierungssystematik des SGB XI insgesamt.

Nach § 9 der Zulassungsrichtlinien können die Versorgungsverträge von Bestandseinrichtungen gekündigt werden, wenn die Zulassungsvoraussetzungen nach § 72 Abs. 3a oder 3b SGB XI ab dem 1. September 2022 „nicht nur vorübergehend“ nicht vorliegen. Doch: wie lange ist „nicht nur vorübergehend”? Von „nicht nur vorübergehend” kann in der Regel bei einem Zeitraum von mehr als drei Monaten und insbesondere dann ausgegangen werden, wenn eine Erfüllung der Zulassungsvoraussetzungen nicht absehbar ist oder verweigert wird.

Insgesamt gibt es drei Möglichkeiten, den Anforderungen des Gesetzes nachzukommen:

  1. Entlohnung nach eigenem Tarifvertragswerk („echte Tarifbindung“);
  2. Entlohnung nach einem fremden Tarifvertragswerk durch Anlehnung („unechte Tarifbindung“);
  3. Entlohnung nach mindestens dem veröffentlichten regionalen Entgeltniveau.

Nachträglich zum GVWG und den dazugehörigen beiden Richtlinien (Zulassungsrichtlinie gem. 72 SGB XI und Vergütungsrichtlinie gem. § 82 c SGB XI) hat der Gesetzgeber Einzelheiten zur Umsetzung klargestellt:

Tarifanwender

Tarifsteigerungen eines Tarifvertrags sind von „Tarifanwendern“, also Pflegeeinrichtungen, die den Tarifvertrag im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 Zulassungs-Richtlinien anwenden, spätestens innerhalb von zwei Monaten umzusetzen, nachdem die jeweilige Änderung nach § 82c Abs. 5 veröffentlicht wurde (§ 72 Abs. 3b Satz 6 SGB XI).

Durchschnittsanwender

Bei einer Erhöhung des veröffentlichten regional üblichen Entlohnungsniveaus und Niveaus der pflegetypischen Zuschläge, muss die erforderliche Anpassungen in der Entlohnung spätestens ab dem 1. Februar 2023, nach dem 1. Februar 2023 jeweils spätestens ab dem 1. Januar des Jahres, das auf die Veröffentlichung der Werte nach § 82c Abs. 5 SGB XI folgt, von den Einrichtungen umgesetzt sein (§ 72 Abs. 3b Satz 7 SGB XI).

Zudem gibt es eine umfangreiche FAQ-Liste vom GKV-Spitzenverband zu Details, über deren rechtliche Verbindlichkeit (kein Norm-Charakter) sich streiten lässt, die allerdings Orientierung geben kann:

Sind Betreuungskräfte, die Leistungen nach § 43b SGB XI erbringen, ebenfalls unter den Richtlinien zu berücksichtigen?

  1. Bei „Durchschnittsanwendern“ sind zur Erfüllung der Zulassungsvoraussetzung nach § 72 Abs. 3b SGB XI die Betreuungskräfte nach § 43b SGB XI in der jeweils entsprechenden Qualifikationsgruppe zu berücksichtigen.
  2. Bei „Tarifanwendern“ sind zur Erfüllung der Zulassungsvoraussetzung die Betreuungskräfte nach § 43b SGB XI im Rahmen der Anwendung eines Tarifvertragswerks oder von kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen miteinzubeziehen.
  3. Bei der Ermittlung der durchschnittlichen Entlohnung der Pflegeeinrichtung zur Bewertung der Wirtschaftlichkeit der Personalaufwendungen nach § 6 Abs. 2 bis 6 Pflegevergütungs-Richtlinien sind ebenfalls die Betreuungskräfte nach § 43b SGB XI zu berücksichtigen.

Kann eine Einrichtung eine Arbeitsmarktzulage, die Pflege- und Betreuungskräften zur Deckung des Personalbedarfs/zur Bindung von qualifizierten Fachkräften regelmäßig und fix gewährt wird, zur Ermittlung der jeweiligen durchschnittlichen Entlohnung einbeziehen (als pflegetypische Zulage)?

Die Antwort ist eindeutig ja. Alle regelmäßigen und fixen pflegetypischen Zulagen sind einzubeziehen. Ob eine Arbeitsmarktzulage als pflegetypisch anzusehen ist, hängt davon ab, ob der Fachkräftemangel in einer Region sie erfordert.

Auf welche Entgeltbestandteile beziehen sich die veröffentlichten variablen Zuschläge in Prozent?

Die Zuschläge beziehen sich auf den Stundenlohn auf Basis des Grundlohns (Tabellenentgelt; ohne Jahressonderzahlungen, vermögenswirksame Leistungen, fixe pflegetypische Zulagen und ohne den Lohn für Bereitschaftszeit und Rufbereitschaft).

Wie verhält es sich mit Arbeitgeberbeiträgen zur betrieblichen Altersvorsorge?

Beiträge zur betrieblichen Altersversorgung zählen weder zu den Entlohnungsbestandteilen, die bei der Ermittlung des regional üblichen Entlohnungsniveaus berücksichtigt werden, noch zu den Entlohnungsbestandteilen, die bei der Anwendung eines Tarifvertrags oder kirchlicher Arbeitsrechtsregelungen im Sinne von § 72 Abs. 3b Satz 1 Nr. 1 bis 3 SGB XI umzusetzen sind.

Für die Einrichtungen kommt die Scharfschaltung der Tariftreue zum 1. September 2022 allerdings zur Unzeit – ausgelöst durch massive Probleme und Hürden in Pflegesatzverhandlungen durch den Ukraine-Krieg mit den massiv steigenden Sachkosten, etwa im Energiebereich und bei den Lebensmitteln.

Anerkannt ist, dass sich Einrichtungen, deren Pflegesatzlaufzeit über den 01.09.2022 hinausging, hinsichtlich noch nicht refinanzierter Personalkosten aufgrund der Umsetzung der Tariftreue auf § 85 Abs. 7 SGB XI berufen und einen Wegfall der Geschäftsgrundlage geltend machen können. Dies ist bei den Sachkosten, insbesondere im Energiebereich, derzeit nicht konsensfähig. Hier wird derzeit auf Bundesebene diskutiert, den Anwendungsbereich des § 85 Abs. 7 per Gesetzesänderung zu erweitern: es soll ausdrücklich klargestellt werden, dass zu den möglichen Tatbeständen für einen Wegfall der Geschäftsgrundlage mit der Folge einer Neuvereinbarung grundsätzlich auch erheblich geänderte Energieaufwendungen gehören. Diese müssen im Vergleich zu den der Vereinbarung zugrundeliegenden Annahmen erheblich sein, denn nicht jedwede Kosten- und Preisänderung für Energie und Brennstoffe auf dem Markt führt automatisch zu dieser Option.

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