Neuigkeiten

Umsatzsteuer in der Eingliederungshilfe

Perspektiven zum ermäßigten Steuersatz

Im April 2022 erfolgte die Veröffentlichung der geänderten Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie (MwStSystRL) 2006/112/EG im Amtsblatt der Europäischen Union, mit der die Möglichkeiten der Mitgliedstaaten zur Anwendung ermäßigter Steuersätze deutlich ausgeweitet wurden. Die Änderung findet auch Anwendung auf Leistungen in der Eingliederungshilfe, wodurch in Zukunft Fälle anders entschieden werden dürften, da der Verweis des Bundesfinanzhofs (BFH) auf übergeordnetes europäisches Recht sich nun unseres Erachtens als nicht mehr statthaft erweist.

Umsetzung von EU-Vorhaben

Die Leistungen von Inklusionsbetrieben dienen in erster Linie den Zwecken der Verbraucher bzw. Nutzer, so der BFH mit Urteil vom 23. Juli 2019. Für Körperschaften, die ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Zwecke im Sinne der §§ 51 bis 68 AO verfolgen, ist der ermäßigte Steuersatz gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 8 a S. 1 UStG – nach Auffassung der Finanzverwaltung, niedergelegt im Umsatzsteuer-Anwendungserlass – anzuwenden. Nach Auffassung des BFH fallen hierunter jedoch nur Leistungen gegenüber Personen mit Behinderung, nicht jedoch Leistungen, an deren Erbringung Arbeitnehmer:innen mit Behinderung, etwa im Rahmen eines Inklusionsbetriebs, teilhaben.

Der BHF begründet dies mit Verweis auf übergeordnetes europäisches Recht (MwStSystRL). Bei der Auslegung der Zweckbetriebsdefinitionen der §§ 65 ff. AO und damit bei der Bestimmung der Reichweite der Steuersatzermäßigungen nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 a UStG sei nach Auffassung des BFH die unionsrechtliche Harmonisierung der Steuersatzermäßigung zu berücksichtigen. Aus der fehlenden Vereinbarkeit von §12 Abs. 2 Nr. 8 a S. 1 UStG mit dem Unionsrecht und zur größtmöglichen Berücksichtigung der nach der MwStSystRL bestehenden Rechtslage folgt eine den Anwendungsbereich des § 12 Abs. 2 Nr. 8 a UStG einschränkende Auslegung (so auch BFH-Urteil vom 26. August 2021).

Seit 2019 suchen Vertreter von Bund und Ländern gemeinsam mit der Kommission auf europäischer Ebene nach einer Lösung für Inklusionsbetriebe und auch Werkstätten, auf die die Urteilsgrundsätze durchaus übertragbar schienen. Auf der ECOFIN-Tagung am 7. Dezember 2021 kam es bei den Finanzministern der EU-Mitgliedstaaten schließlich zu einer Einigung über die Änderung der geltenden MwSt-Regelungen. Diese Änderungen, die die Richtlinien 2006/112/EG und EU 2020/285 betreffen, wurden durch das Europäischen Parlament am 9. März 2022 gebilligt.

Durch die Veröffentlichung der Richtlinie EU 2022/542 vom 5. April 2022 zur Änderung der Richtlinien 2006/112/EG und EU 2020/285 i. B. a. die Mehrwertsteuersätze im Amtsblatt der Europäischen Union sind diese inzwischen in Kraft getreten.

Unter anderem wurde Nr. 15 im Anhang III der MwStSystRL in der Fassung vom 28. November 2008 von „Lieferung von Gegenständen und Erbringung von Dienstleistungen durch von den Mitgliedstaaten anerkannte gemeinnützige Einrichtungen für wohltätige Zwecke und im Bereich der sozialen Sicherheit, soweit sie nicht gemäß den Artikeln 132, 135 und 136 von der Steuer befreit sind“, hin zu der nachfolgenden Fassung geändert:

„Lieferung von Gegenständen und Erbringung von Dienstleistungen durch gemeinnützige Organisationen, die sich für wohltätige Zwecke und im Bereich der sozialen Sicherheit wie von den Mitgliedstaaten definiert einsetzen und die von den Mitgliedstaaten als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannt werden, soweit sie nicht gemäß den Artikeln 132, 135 und 136 von der Steuer befreit sind”.

Durch die Aktualisierung der MwStSystRL haben die Mitgliedstaaten weitreichende Möglichkeiten für die Anwendung ermäßigter Steuersätze, so auch Deutschland im Bereich der Eingliederungshilfe. Die Begründungen der BFH-Urteile vom 23. Juli 2019 und vom 26. August 2021, die eine Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auf Ausgangsumsätze der Inklusionsbetriebe verwehrten, tragen mit Blick auf die neu gefasste Mehrwertsteuersystemrichtlinie unseres Erachtens nicht mehr, sodass wir, bezogen auf aktuelle Fälle, bereits mit einer Änderung der Rechtsprechung rechnen. Die Bundesregierung, die sich dem Thema gemäß Koalitionsvertrag verschrieben hat, erhält durch die Aktualisierungen der MwStSystRL, insbesondere hinsichtlich der Anwendung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes, mehr Flexibilität und kann zur Stärkung der Inklusionsbetriebe und Werkstätten beitragen.

Wünschenswert wäre eine gesetzliche Verankerung des ermäßigten Steuersatzes auf Ausgangsumsätze von Inklusionsbetrieben und Werkstätten anstelle der aktuellen Regelung im Umsatzsteuer-Anwendungserlass. Aufgrund der „Kann-Regelung“ in der MwStSystRL würde dies für zukünftige finanzgerichtliche Auseinandersetzungen nochmal für eine höhere Rechtssicherheit bürgen.

Fazit

Durch die Änderungen der MwStSystRL hat die Bundesregierung im Bereich des ermäßigten Steuersatzes deutlich an Handlungsspielraum gewonnen. Das im Koalitionsvertrag zum Ausdruck gebrachte Bestreben, den ermäßigten Steuersatz im Bereich der Eingliederungshilfe weiterhin anwenden zu wollen, lässt auf eine kurzfristige Änderung der nationalen Gesetzeslage, im Umsatzsteuergesetz, hoffen. Die Perspektiven, die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes in der Eingliederungshilfe bereits jetzt in finanzgerichtlichen Verfahren durchsetzen zu können, e scheinen unseres Erachtens jedoch unabhängig davon vielversprechend.

Dieser Artikel stammt aus unserem Mandantenmagazin Curacontact, das 4 x im Jahr aktuelle Themen für die Gesundheits- und Sozialwirtschaft, für Öffentlichen Sektor und Kirche aufbereitet. Interesse? Jetzt kostenlos abonnieren!